Letzten Herbst waren wir eine Woche in einem netten Haus in Balk, einem süßen, kleinen Ort in Friesland (Niederlande). Wir waren schon oft in den Niederlanden, und uns hat es immer gut gefallen. Nicht zuletzt haben wir ja auch unsere JULIUS damals aus Elburg abgeholt (Überführungsfahrt von Elburg nach Hamburg im Februar – hier lesen!).
Durch Balk spazierend kam (wieder einmal) die Idee auf: Können wir nicht mal im Sommer mit dem Boot nach Friesland? Ein wenig durch die Kanäle cruisen und das Ijsselmeer erkunden?
„In drei Wochen. Von Damp aus? Klappt niemals.“
So sprach der Skipper nach einigen Minuten des Nachdenkens. Und damit war das Thema erledigt.
Abends stand ich dann mit meinem Hund am Strand in der Nähe des Ferienhauses. Ole buddelte. Natürlich. Ich sah ihm zu. Und dachte nach.
Das Schiffshorn tutet. Lang, laut und wütend. Wir sind eben in den Nord-Ostsee-Kanal eingefahren, haben die großen Schleusen von Kiel-Holtenau verlassen. Wie schon häufig wurden ein paar Sportboote zusammen mit einem Berufsschiff geschleust.
Der Dampfer in der Schleuse war schon ein ordentlicher Brocken. Einer der Sorte, denen man niemals zu nahe kommen darf, schon gar nicht im engen Kanal. So ein großes Schiff kann schlicht nicht anhalten, oder ausweichen, selbst wenn der Schiffsführer das will. Und wenn die Crew auf dessen Brücke ein kleines Sportboot überhaupt sieht: Durch hoch gestapelte Container sind die toten Winkel nämlich beeindruckend groß.
Beim Hafenmeister in Damp lagen letztens Broschüren aus, ich glaube sie waren von der Wasserschutzpolizei. Ein Beitrag dort hat versucht, die Lage der Leute auf der Brücke von so einem Dampfer zu verdeutlichen: Fotos von dort oben, und eingekreist irgendwo die Mastspitze eines Seglers. Oder die Schemen eines Motorbootes, das denkt, es wäre doch wohl gut zu sehen, von der Brücke aber selbst bei gutem Wetter kaum auszumachen ist.
Ich empfand die Fotos als sehr interessant, und sie haben mich in meiner Strategie mehr als bestätigt:
„Bleib weg von großen Dampfern. Und fahre nie, nie, niemals vor deren Bug herum.“
Wieder das kräftige Horn. Kurz bin ich irritiert: Meint jemand mich? Mache ich etwas falsch? Ich schaue nach achtern: Nein, der Container-Feeder aus der Schleuse ist noch weit weg und nimmt erst Fahrt auf. Außerdem bin ich brav eng am rechten Ufer des Kanals.
„Scheiße.“
Denke ich, nachdem ich mich umgedreht und noch mal genauer voraus geschaut habe.
„Wahrschau vor dem Segler vor deinem Bug, der verhält sich äußerst gefährlich.“
Höre ich über UKW den Lotsen des Container Schiffes eine Warnung vor dem sich und andere gefährdenden Segler (siehe Teil 1 der Geschichte – hier lesen!) an den nachfolgenden Tanker aussprechen.
Er ist nun achteraus und fährt auf der richtigen Seite vom Kanal, eng am Ufer. So, wie es sein soll.
„Vermutlich hat er langsam realisiert, wie gefährlich sein Verhalten war. So etwas macht er sicher nicht noch mal.“
Denke ich. Tatsächlich passiert er den Tanker ohne Vorkommnisse. Ich entspanne und richte mich auf die weitere Kanalfahrt ein. Das Wetter ist ruhig, es ist warm. Ich möchte heute noch bis Rendsburg kommen.
„Hast du den Namen von dem Segler erkennen können?“
Auf das Erlebnis mit dem Irren im Kanal (vorherige Geschichte – hier lesen!) hätte ich einerseits auch verzichten können. Andererseits hat es aber den ersten Teil der Kanalfahrt interessant gemacht. Am nächsten Tag ging es dann von Rendsburg weiter, durch den Rest des Kanals.
Im Grunde ist eine Passage des Nord-Ostsee-Kanals für eine Yacht einigermaßen spektakulär: Wo sonst kommt man den großen Dampfern so nahe?
So empfanden beispielsweise die Hamiltons von der MV Dirona (US-Amerikaner) die „Kiel Canal Experience“ als so bemerkenswert, dass sie sich drei Tage (!) Zeit dafür genommen haben. Sehr anschaulich und mit vielen Fotos beschrieben hier (englisch):
So fasziniert James und Jennifer vom Kiel Canal – der internationale Name für den Nord-Ostsee-Kanal – sind, so langweilig finde ich diese Fahrt. Zwei mal pro Jahr fahren wir hier durch, da ebbt das Erlebnis, der Berufsschifffahrt so nahe zu sein, deutlich ab und es überwiegt die Monotonie der Kanalfahrt. Zumal, wenn ich alleine unterwegs bin.
Die JULIUS ist Innenlieger in einem Sechser-Päckchen. Um eine passende Tide zu haben und zeitig am nächsten Ziel anzukommen muss ich sehr früh los. Natürlich möchte ich nicht alle Nachbarn dafür aus dem Schlaf holen müssen, und so spielen wir am Abend noch mal Salvatore und mischen unser Päckchen neu, sortiert nach Abfahrtszeit: Der Innenlieger (ich) nach ganz außen, Nr. 2 auf Position 4, Nr. 3 auf Position 5, Nr. 4 rückt auf Position 1… aber so etwas ist auf Helgoland völlig normal, und dementsprechend entspannt läuft es alles ab.
„Darf ich bei dir längsseits gehen?“
Ein kleineres, klassisches Plattbodenboot kommt danach noch in den Hafen und sucht einen Platz. Überall sind die Päckchen lang, so eine richtig gute Option gibt es so spät Abends nicht mehr.
„Na klar, musst aber früh aufstehen. Ich will um 0430 los.“
Ein Stirnruzeln beim Skipper des Plattbodenbootes. Kurzes Nachdenken.
„Ah egal, ehe ich hier noch lange rumkurve, dann stelle ich mir eben den Wecker.“
Er hat offensichtlich keine Lust mehr und will nur noch irgendwo liegen. War vermutlich ein langer Törn heute: Es ist kein Wind, und unter Maschine wird sein Boot nicht sonderlich flott sein.
Es ist ein wunderschöner Sommerabend auf Helgoland: Kein Wind, warme Luft, Leute sitzen entspannt beim Sundowner auf ihren Booten. Ich sitze mit einem kalten Bier auf meinem Achterdeck, genieße die Atmosphäre und mache einfach mal gar nichts. Außer zu gucken und die Gedanken schweifen zu lassen.
Wind ist aufgekommen. So vier bis fünf Windstärken wehen aus Nordwest, streichen lang über die Nordsee und bauen dort eine merkbare Welle auf. Das muss mich nur bedingt interessieren: Ich fahre heute von Norderney (siehe letzte Geschichte „Sorry, wir werden nicht warm miteinander“) nach Emden und halte mich nur im Watt und später auf der Ems auf. Alles geschützte Gewässer, mit Seegang werde ich da kaum zu tun haben.
Außer im Seegatt. Das ist die Enge zwischen Norderney und Juist. Bei jeder Tide läuft da eine Menge Wasser vom Watt zur Nordsee oder umgekehrt, da kann also mächtig Strom stehen. Wenn beispielsweise ein frischer Nordost weht, und gleichzeitig das Wasser vom Watt zur See läuft, baut sich in diesem Bereich schnell eine sehr steile und bemerkenswert hohe Welle auf. Den frischen Nordost habe ich heute. Ablaufendes Wasser aber nicht.
Noch zu Hause hatte ich mehrere Abende mit puzzeln verbracht: Auf dem Weg von Norderney zur Ems liegen nämlich zwei Hochs: Bereiche, die bei Niedrigwasser trocken fallen und auch bei Hochwasser nicht so richtig tief sind. Beide Hochs muss ich bei auflaufendem Wasser passieren (nicht, dass ich wieder hängen bleibe und nicht mehr weg komme).
Entfernt brummen Maschinen in dem roten KISS Autotransporter. Und trotzdem ist es heute Abend schön, hier im Yachthafen Emden, mitten im Industriegebiet.
Wir sind heute mit der Bahn von Hamburg gekommen. Die ganze Familie. Bordhund Ole hat sein Rudel wieder vollständig zusammen und fühlt sich sichtlich wohl damit. Es ist sehr warm, ein wunderbarer Sommertag, der nun in den Abend übergegangen ist.
Es ist alles eingeräumt und verstaut. Die Sonne geht gerade unter, und wir sitzen bei Apérol, Prosecco und Limonade auf dem Achterdeck und genießen die warme Luft, den klaren Himmel und das schöne, rötlich gelbe Licht am Horizont. Scharf heben sich die schwarzen Konturen der Hafenanlagen dagegen ab.
Lange sitzen wir an diesem ersten Urlaubsabend zusammen und sprechen über die bevorstehende Reise nach Holland. Es ist ein einfaches Revier, ohne seemännische Herausforderungen. Aber die hatte ich ja nun auch erstmal bei meiner Solo-Überführung von Damp nach Emden (siehe vorige Geschichten).
Ich hole die Petroleumlampe, zünde sie an und es bleibt noch lange gemütlich. So ein warmer, langer Abend. Davon darf es gerne noch viele weitere geben in den kommenden drei Wochen Urlaub.
„Ein Mega-Outlet? Ja, da müssen wir natürlich unbedingt hin.“
Meine ich nicht frei von Ironie, als es um die weitere Törnplanung geht. Wie liegen in Lemmer und haben die Kanäle vorerst verlassen. Die Binnenmeere ähneln meinem Gefühl nach überschwemmten Wiesen und die Karte zeigt, dass auch das „große“ IJsselmeer nicht wesentlich anders ist: Tief ist es hier nirgends, fast überall stehen nur so drei oder vier Meter Wasser.
Das andere Ufer, dort wo beispielsweise das wohl sehr schöne Enkhuizen liegt, ist nicht zu sehen. Das IJsselmeer ist also eine offenere Wasserfläche, die meinen Drang nach Freiheit wieder etwas bedient.
Erstmal soll es aber nach Lelystad gehen: Dem Mega-Outlet mit nebenliegendem Hafen. Unzählige Läden für Klamotten aller Marken. Ein Paradies – für die weibliche Crew. Ich habe lange nicht verstanden, warum gerade im Urlaub geshoppt werden soll. Im Urlaub!
„Natürlich im Urlaub, gerade dann habe ich doch Zeit und Ruhe.“
Wurde es mir dann aber mal erklärt. Ein valides Argument, das ich persönlich nicht teile, dem ich aber auch nicht widersprechen kann.
„Heute und morgen ist es warm und sonnig. Lass und lieber erstmal nach Enkhuizen, auf die andere Seite.“
Bringe ich ein ebenfalls ziemlich valides Argument auf den Tisch. Außerdem können wir in Enkhuizen mal wieder etwas ganz außergewöhnliches machen: ankern.
denke ich und lächle, als wir die Seeschleuse von Lauwersoog passiert haben und die ersten Seehunde auf den Sänden faulenzen sehen. Ja, auf dem Meer kann der Seegang das Vergnügen trüben. Die Rechnerei mit den Gezeiten kann – zumindest in der Nordsee – nerven. Der Respekt vor Naturgewalten muss hier viel größer sein.
Aber: auf See empfinde ich das Gefühl von Freiheit. Von Weite. All das Wasser um mich herum, es beruhigt und entspannt mich. Ich fühle mich zugehörig, wohl und zufrieden. Und davon abgesehen empfinde ich die Fahrt auf dem Meer als viel einfacher und bequemer.
Das Wetter bleibt trübe und kühl, aber ruhig. Die JULIUS fährt uns sanft aus dem Watt und weiter über die offene Nordsee, an niederländischen Inseln vorbei. Ein Fischer begegnet uns, sonst sehen wir lange niemandem. Hier ist augenscheinlich wirklich deutlich weniger Betrieb als auf der Ostsee.
Wir wollen nach Borkum, der westlichsten deutschen Nordseeinsel. Norderney hatte mir ja schon nur bedingt gefallen, und natürlich weiß ich, dass die beiden Häfen von Borkum nicht schön sein sollen. Juist wäre ganz bestimmt viel mehr nach unserem Geschmack – aber mit anderthalb Meter Tiefgang kommen wir da gar nicht oder nur in einem sehr kleinen Zeitfenster hin. Borkum dagegen kann immer angelaufen werden, zumindest der große Hafen ist auch bei Niedrigwasser tief genug.
Diesen Alarm höre ich nur ein, zweimal pro Jahr bei einem Test. Aber doch nicht jetzt, in der Saison, an einem wunderschönen Sommertag!
Als sich das Wetter beruhigt hatte, haben wir vor ein paar Tagen Helgoland verlassen. Der Sommer schickte sich an, uns doch noch ein paar schöne Tage zu schenken. Auf eine ruhige Fahrt über die Nordsee folgte eine ebenso entspannte Passage durch den Nord-Ostsee-Kanal.
„Das wird doch nicht…?“
Ich stehe ein paar Sekunden im Salon und überlege, was dieser Alarm bedeutet. Ich erinnere mich – und stürme sofort den Niedergang runter, reiße die Treppe vor dem Zugang zum Maschinenraum weg und öffne die Tür.
Andreas, ein Freund vom Campingplatz, steht auf einmal auf seinem StandUp-Board neben der JULIUS. Ich erzähle in Kurzform, was vorgefallen ist. Steffi und Lena sind zwischendurch erleichtert zum Strand abgedüst, um meine Mutter zu informieren und zu beruhigen. Den beiden war Angst und Bange so alleine im Schlauchboot, ohne irgendeine Idee zu haben, was auf dem Mutterschiff eigentlich passiert.
„Und was willst du jetzt machen?“
Wir sind manövrierunfähig, die Maschine ist praktisch ohne Kühlung, die darf ich nicht mehr starten. Trotzdem bin ich entspannt: Die Ursache für den Wassereinbruch habe ich gefunden und abgestellt. Das Wetter ist ruhig und wir sind in unmittelbarer Nähe unseres Heimathafens, wo mit der NIMANOA eine mehr als ausreichende Einheit der Seenotretter liegt. Deren Vormann war lange Zeit Hafenmeister in Damp, wir kennen uns. Was passiert ist, ist großer Mist. Aber es ist uns an dem denkbar besten Ort passiert!
„Ah, kein Problem. Ich rufe die Seenotretter an, die schleppen das Boot nach Damp. Dann sehen wir weiter.“