Das Boot genießen und ohne Arbeit nur zur äußerst angenehmen Freizeitgestaltung nutzen: Das möchten wohl die allermeisten Eigner.
Das klappt aber nicht. Jedes Boot hat Technik an Bord. Segler tendenziell weniger als Motorboote, aber je neuer ein Boot, desto mehr technische Komponenten gibt es in der Regel. Also auch immer mehr Teile, die ausfallen können und damit Aufwand und Kosten verursachen.
Selbst ich – der ja nun wirklich eine erhebliche Affinität zu Yachttechnik hat – überlege vor der Investition in eine neue Komponente:
„Ist dieses neue Stück Technik so nützlich, dass es den potentiellen Aufwand an Wartung und Reparatur rechtfertigt?“
Ein Trick, um Probleme frühzeitig zu erkennen – oder auch gar nicht erst entstehen zu lassen
Fehler kommen – bis auf wenige Ausnahmen – nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr bahnen sie sich an. Vier Beispiele:
- Ein verstopfter Ölfilter? Kann an abnehmendem Öldruck erkannt werden.
- Verschleiß am Impeller? Kündigt sich durch eine zunehmende Abgastemperatur an.
- Übermäßige Alterung der Batterien? Entsteht durch zu häufige, zu tiefe Entladung.
- Unnötig viel Stromverbrauch vom Kühlschrank? Erkennbar am Temperaturverlauf in seinem Innenraum.
Jedes dieser Beispiele lässt sich ganz leicht und mit wenig Aufwand und fast keinen Kosten lösen: Wenn die mögliche Probleme rechtzeitig erkannt werden.
Oder umgekehrt: Ohne die Erkenntnis, dass sich da was anbahnt, können ernsthafte – und teure! – Probleme entstehen.
Der Trick ist eigentlich einfach: Eine Datenhistorie.
Historische Daten vermeiden Probleme
Natürlich kann ich selbst auf die Öldruck-Anzeige gucken und sehen, wenn der Druck geringer ist als normal. Aber bemerke ich dabei kleine Abweichungen? Eher nicht.
Und sagt mir ein simples Voltmeter, wie oft die Batterie stark entladen wird? Dazu müsste ich ständig raufgucken – was eher unrealistisch ist.
Nein, sinnvoll wird es erst, wenn solche Daten automatisch erhoben und in einer Historie gesichert werden. Am besten noch gekoppelt mit einem Alarm, wenn eine Schwelle über- oder unterschritten wird.
Ist alles in Ordnung, wenn ich nicht da bin?
Wie geht es der Technik an Bord eigentlich, wenn das Boot tage- oder wochenweise alleine im Hafen liegt? Ist der Landstrom zuverlässig, so dass die Batterien geladen gehalten werden? Läuft der Kühlschrank, in dem ich Lebensmittel liegen gelassen habe?
Und für diejenigen, die im Wasser überwintern: Friert es im Boot und muss die Heizung eingeschaltet werden?
Auch hier geht es wieder darum, sich das Leben einfacher zu machen. Sprich: Probleme zu vermeiden.
Lösungsansätze für das Boots-Monitoring
Die Erfassung, Darstellung, historische Auswertung von Daten plus Alarmierung ist im professionellen Bereich absoluter Standard. Dafür gibt es ausgereifte Systeme, von denen aber bisher nur das von Maretron (N2KView) zumindest eine theoretische Option für Yachten war. Das Maretron System ist super: Für jeden Einsatz hochzuverlässige Sensoren, eine ausgereifte Software und alles wird einfach über den NEMA2000 Bus verbunden. Minimaler Aufwand für die Verkabelung, hohe Betriebssicherheit.
Aber: Ein Maretron System kostet richtig Geld. Das lohnt sich nur für sehr große Yachten.
Bastler können sich so ein System selbst aufbauen: Einen Rasperry Pi Minicomputer, ein paar Standard Sensoren aus dem Conrad Regal, etwas OpenSource Software und dazu diverse eigene Programmierungen. Für Entwickler kein wirkliches Problem.
Für mich aber absolut keine Option. Ich bin studierter, professioneller Software Ingenieur seit Jahrzehnten. Aber: Der Aufwand für die Entwicklung und Wartung von so einer Bastellösung ist mir deutlich zu hoch. Ich möchte ja weniger Arbeit am Boot haben, nicht mehr.
Dann gibt es Komponenten aus der Heimautomation, die mittlerweile auch als Marine-Lösungen angeboten werden (z.B. Zigboat). Kann man machen. So richtig warm werde ich damit aber nicht: Die Sensoren sind teuer (aber günstiger als von Maretron) und sprechen alle drahtlos miteinander. Auf einem Kunststoffboot ist das super, aber klappt das bei Metallyachten?
Außerdem scheinen die Sensoren alle mit Batterien betrieben zu werden. Zehn Sensoren – zehn unterschiedliche Zeitpunkte, wo die Stromquelle erneuert werden muss. Und merke ich das zuverlässig, bevor der Strom alle ist und die Sensoren versagen?
Gunnars Idee
Gunnar Samland und sein Team, die Erfinder von Visuship, haben über all diese Fragen wohl auch nachgedacht. Und sie haben diesen Weg gewählt:
- Nutze günstige Standard-Komponenten aus der Industrie.
- Aber schaffe ein Paket, was sofort nutzbar ist.
- Füge eine simple Option hinzu, damit das System immer online und von außen verwendbar ist.
- Nimm dem Benutzer die Arbeit der Softwarepflege ab.
Gunnar hatte mir vor langer Zeit ein Paket seines Visuship getauften Systems überraschend und völlig unverlangt zugeschickt. Natürlich in der Hoffnung, dass ich hier auf booteblog darüber schreibe… aber ich habe ihn lange warten lassen.
Denn wie immer schreibe ich nur über das, womit ich mich beschäftigt habe und was mir gefällt. Und ich hatte viele andere Prioritäten auf der JULIUS, außerdem hatte es bei mir mit der Visuship Idee noch nicht so richtig „klick“ gemacht.
Ende Januar hatte ich dann aber endlich Zeit, das Paket auszupacken, die Teile zu begutachten und zu installieren. Ich hatte es noch mit Version 1 des Systems zu tun, Version 2 bietet ein viel kompakteres System mit noch mehr direkt eingebauten Möglichkeiten, dazu aber mehr in einem späteren Artikel.
Visuship – aufbauen, anschließen, erste Daten messen – schwierig?
Visuship 1 besteht aus ein paar einzelnen Komponenten: Zentraleinheit („Controller“, eigentlich ein Rasperry Pi Minicomputer), eine I/O Box (die Siemens „Logo“ Box mit diversen Ein- und Ausgängen), eine kleine Patine für 1-Wire Temperatursensoren und ein Standard USB-Mobilfunk (LTE) Stick.
Das hat sich für mich erstmal noch etwas „provisorisch“ angefühlt. Beispielsweise sollte ich an die I/O Box oben eine kleine extra Platine raufstecken: Deren Beinchen passten zwar wie in der Dokumentation beschrieben, trotzdem war ich nicht endgültig sicher, ob ich das richtige tue.
Letztlich musste ich mich aber schlicht nur vertrauensvoll an die Dokumentation (in deutsch und ausführlich) halten, dann war der Aufbau schnell erledigt.
Der Controller startete sofort, nachdem er Strom hatte. Zu dem von Visuship erzeugten WLAN konnte ich mich mit Tablet oder Computer verbinden und die Visuship App im Browser öffnen. Dann noch einstellen, wo auf der Homepage ich welche Daten sehen möchte und schon war das System einsatzbereit.
Ohne nachdenken, nur anhand der Dokumentation, ist Visuship in weniger als einer Stunde aufgebaut. Und in der Version 2 wird es deutlich einfacher: Visuship V2 integriert alles in einem Gerät.
Die eigene Visuship App auf dem Smartphone und Tablet – via Internet
Richtig interessant wird es, wenn Visuship eine ständige Internetverbindung hat: Dann kann ich meine Visuship App mit meinen Daten von überall aus nutzen, und zwar exakt so, als wäre ich auf dem Boot. Das ist ziemlich cool, da haben die Entwickler echt nachgedacht.
Aber welches Boot hat schon permanent Internet? Auch wenn du ein eigenes Boots-WLAN hast (z.B. mit meiner Lösung zum nachbauen, siehe booteblog.net/internet), wirst du das vermutlich nicht Tag und Nacht und bei Abwesenheit in Betrieb haben. Außerdem: Ist das Hafen WLAN verlässlich genug, um wirklich eine permanente, 24×7 Verbindung zu gewährleisten?
Visuship bringt einfach einen LTE USB-Stick mit. Dafür ist eine eigene SIM Karte erforderlich, ich nutze eine Prepaid Karte mit momentan 500MB Datenvolumen. Ob das reicht, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall sind die laufenden Kosten sehr gering, und auf diesem Weg hat Visuship eine eigene, verlässliche Internet-Verbindung.
Und auch hier waren die Entwickler schlau! Wer einen eigenen Router an Bord hat (wie gesagt, siehe booteblog.net/internet), der kann Visuship daran anschließen UND den LTE Stick nutzen. Das System nutzt dann die Internet Verbindung des Routers solange sie existiert, und fällt ansonsten auf den eigenen LTE Stick zurück. Für den SMS Versand wird immer der LTE Stick verwendet. Das ist Perfekt gelöst.
Diese Verbindung kann übrigens über das Visuship WLAN auch von eigenen Geräten genutzt werden, damit bietet das System sogar eine „Internet für alle auf dem Boot“ Lösung.
Allerdings ohne jede Möglichkeit der Kontrolle, wenn das Smartphone also mal eben ein Gigabyte großes Update ziehen will, ist das Datenvolumen schnell aufgebraucht. Aber wer weiß? Vielleicht bauen die Entwickler ja die Möglichkeit ein, Verbindungen anhand von Domainnamen zu sperren – dann wäre Visuship auch noch eine echte Lösung für Internet auf dem Boot.
Wie geht es weiter mit Visuship auf der JULIUS?
Bisher ist meine Installation provisorisch, ich muss den Controller und die I/O Box woanders montieren um einfacher an die Daten zu kommen. Visuship soll bei mir anzeigen:
- Spannung des 24V Bordnetzes und vom 12V Netz der Ruderanlage.
- Temperaturen: Maschinenraum allgemein, Maschinenraum direkt an den Batterien, Salon, Kühlschrank, Lebensmittel-Bilge.
- Und aus dem NEMA2000 Netz: Temperatur außen, Luftdruck (mit der Historie habe ich dann also einen Barografen!), Wassertemperatur, Windstärke und -Richtung.
- Status Landstrom: Sind 230V verfügbar oder gibt es ein Problem mit der Stromversorgung?
Wenn es soweit ist, mache ich bestimmt auch ein Video dazu!
Vorläufiges Fazit und meine Meinung zu Visuship
Irgendwie witzig, aber brauche ich nicht.
Das werden sicher viele Leser spontan denken. Ich dachte das auch zuerst. Und keine Frage: Mein Boot fährt auch ohne ein Monitoring System. Zwingend notwendig ist es also nicht. Aber je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr wurde mir klar:
Zwingend ist es nicht, aber extrem hilfreich.
Für mich gelten drei Hauptargumente:
- Historie: Sich anbahnende Problem frühzeitig erkennen.
- Temperaturen und Spannungen: Alarm bekommen und jederzeit von außen diese Daten sehen. Vor allem im Winter ist mir das sehr wichtig.
- Übersicht wenn ich an Bord bin: Viele Daten auf einen Blick in einem übersichtlichen Dashboard.
Dazu kommt das gute Gefühl zu wissen, nicht zu glauben, dass wesentliche Dinge an Bord in Ordnung sind und keine Überraschungen auf mich warten.
Die Idee von Gunnar und seinem Team, günstige Standard Komponenten aus der Industrie (und nicht aus dem Regal für private Bastler) zu verwenden und daraus eine runde, für Jedermann zu nutzende Möglichkeit zu schaffen, ist gut und tragfähig. Schon mit Visuship 1 funktioniert das Konzept, mit dem kommenden Visuship 2 wird es noch mal verfeinert.
Könnte ich erheblich mehr finanzielle Mittel in Boot und Technik investieren, würde ich wohl das Maretron System nutzen. Vor allem, weil dort alles über den NMEA2000 Bus läuft. Habe ich aber nicht. Und von den dann übrig bleibenden Optionen ist Visuship für mich die beste Wahl.
Herstellerseite: https://www.visuship.eu
Wem nutzen die (meine) Daten sonst noch ? Visuship sammelt wie google die Daten vieler und macht was damit ? Wenn ich Pirat bin würde ich versuchen bei Visuship einzubrechen. Ist aber ein Problem von allen zentral sammelnden Systemen (smarthome z.B.)
Puh… das finde ich jetzt ziemlich weit hergeholt. Wir sprechen hier ja über einen kleinen Laden, keinen internationalen Daten-Sammel-Konzern.
Außerdem ist Visuship an die DGSVO gebunden, darf also gar nicht so einfach mit den Daten „irgendwas“ anfangen.
Nein, solche Sorgen treiben mich bei Facebook und ähnlich bis zur Wurzel verdorbenen Konzernen um, aber nicht hier.