Über die Nordsee: Eine schwierige Freundschaft.

Der Binnen- und Südhafen von Helgoland.
Der Binnen- und Südhafen von Helgoland.

Der Sommerurlaub in diesem Jahr hat nur drei Wochen und ist eher auf Entspannung ausgelegt. Die Kinder wollten gerne einmal Sylt sehen, und ein Nebentrip nach Helgoland zum bunkern war dringend notwendig. Also habe ich das Boot letzte Woche durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Helgoland und weiter nach Hörnum auf Sylt gebracht. Während ich meiner beruflichen Arbeit voll nachgegangen bin, übrigens.

Tatsächlich hatte diese Woche auch ein wenig Übungscharakter: Wie geht das, zu fahren und gleichzeitig seinem Job nachzugehen? So interessant und inspirierend dieses Thema für viele auch ist: Dazu werde ich später schreiben.

Jetzt soll es um die Nordsee gehen:

Die Zeit auf Helgoland, einer Insel, in der Steffi und ich uns schon mehrfach verliebt haben, war wieder schön. Welch ein Gefühl von Luxus und Privileg, vom eigenen Boot aus dem Strom von Tagestouristen zuzuschauen, die am späten Nachmittag wieder von der Insel weg müssen. Und man selbst darf bleiben!

Die kurze Wanderung um die Insel, mit diesen kaum zu fassenden und mit Worten nur unzureichend auszudrückenden Aus -und Ansichten. Die roten Felsen, dahinter das tiefblaue Meer, glitzernd im Sonnenschein. Und weit, so weit! In der einen Richtung liegt England. In der anderen der hohe Norden und lange, sehr lange nur Wasser. Nach Osten geschaut weiß ich, dass da die Nordfriesischen Inseln liegen, aber zu sehen ist: Nur Wasser.

Roter Felsen, tiefblaues, weites Meer: Auf Helgoland.
Roter Felsen, tiefblaues, weites Meer: Auf Helgoland.
Sie sieht so ruhig aus, so unschuldig, von hier oben: Die Nordsee.
Sie sieht so ruhig aus, so unschuldig, von hier oben: Die Nordsee.

Unschuldig und ruhig, so sieht das Wasser aus der Höhe des Helgolander Oberlandes aus. Eine leichte Brise weht, so um die drei Windstärken. Auf der Ostsee wäre bei diesem Lüftchen überall nur eine kaum zu merkende Welle, keiner Rede wert. Bei drei Beaufort können wir von Damp direkt nach Bornholm fahren. Oder nach Anholt. Göteborg. Egal welche Strecke, die westliche Ostsee ist bei mäßigem Wind ein überaus freundlicher Teich.

Nicht so die Nordsee.

„Wind drei bis vier? Alles easy, ab nach Helgoland, schmeiß den Grill an unterwegs!“

Das kann stimmen. Muss aber nicht. Es hängt davon ab. Von der Windrichtung in Zusammenhang mit der Route zum Beispiel. Ost vier bei einer Fahrt direkt an den nordfriesischen Inseln entlang könnte ruhig und komfortabel sein. Ein Nordwind, der seit Tagen mit eigentlich mäßigen zwölf Knoten weht, ergibt dagegen ein Meter Welle.

Ein Meter Welle? Das klingt so wenig. Wenn Windfinder und Windy einen Meter melden, dann ist das die signifikante Wellenhöhe. In der Praxis rollen dann auch regelmäßig 1,5m oder noch mehr auf das Schiff zu. Das klingt immer noch eher wenig, oder?

„Ich war bei vier Meter Welle unterwegs, wow, das war ein sportlicher Törn!“

Wer in der Nordsee meint, bei vier Meter See unterwegs gewesen zu sein, hat sich meistens verguckt oder spinnt Seemangsgarn. Die wenigen, die so ein Erlebnis hatten, sprechen davon mit nichts weniger als dem größten Respekt und ohne jedes Aufschneiden.

Als Segler kann man bei sagen wir mal zwei Meter Nordseewelle Spaß haben: Mit prallen Segeln und sieben Knoten durch das Wasser rauschen, die Gischt spritzt bis zum Cockpit, der Person am Steuer ins Gesicht. „Ist das alles, was du anzubieten hast?“ will man der See entgegenschreien. Eine Rauschefahrt, Mensch und Material gegen das Element, ein kleiner Kampf, dessen Sieg abends beim Anlegerbier begangen wird.

Das geht, für ein paar Stunden. Doch irgendwann ist der Spaßfaktor vorbei. Dann ist die Fahrt in so einem Seegang hauptsächlich unkomfortabel. Für mich jedenfalls.

Zwei Meter, das wäre bei der JULIUS ungefähr von der Wasserlinie bis zum sehr weit hoch gezogenen Bug. Lass mal einen zwei Meter hohen Berg aus Wasser auf dein Boot zurollen: Geht. Aber es gibt Schöneres.

Und so bedeuten auch schon 1,5m See schräg von vorn eine veritable Achterbahnfahrt: Der Bug der JULIUS schiebt sich über den Berg, trotzdem die Welle mit sechs Sekunden viel länger ist als in der Ostsee, lauert darunter ein erstaunlich tiefes Tal, in das mein Boot dann heruntersaust. Unten angekommen taucht der Bug ein, der mit Luft gefüllte Bugwulst unter der Wasserlinie sorgt für schnellen Auftrieb und schiebt die Schnauze wie im Fahrstuhl wieder nach oben.

Jedes Video über Seegang gibt das tatsächliche Erlebnis nur sehr unzureichend wieder. Es ist nicht so, dass es gefährlich wäre. Selbstverständlich kann ein einigermaßen gut konstruiertes Boot das ab. Aber es nervt, wenn es über Stunden und Stunden und Stunden so geht.

Dann kommt die Tide ins Spiel: Irgendwann kippt sie, und der Strom dreht sich. Entweder, er schiebt und steht dann vielleicht gegen den Wind, was den Seegang noch mal deutlich anfacht. Oder er bremst, und lässt aus einer Ankunftszeit Nachmittags um drei schnell den späten Nachmittag um fünf werden. Während das Boot weiter bockt und keine sinnvolle Tätigkeit an Bord möglich ist, außer, sich das Geschehen mit stoischer Gelassenheit anzuschauen.

„Das Boot wird es schon machen, was soll ich da jetzt dran tun?“

So ging es mir am Mittwoch, als ich von Brunsbüttel nach Helgoland gefahren bin. Die erste Hälfte der Strecke war traumhaft schön und wunderbar ruhig. Dann war der Schutz der Sände in der Außenelbe passé und es wurde, wie gerade beschrieben.

Dösen. Ausguck halten, Radar und AIS prüfen. Sich langweilen. Ausguck, Radar, AIS. Abwarten. Jeder Weg durchs Boot ist anstrengend. Dösen. Warten. Ausguck. Warten. Nicht auf die Uhr schauen. Nicht auf die ETA schauen. Das Boot schiebt sich dem Ziel näher. Viel zu langsam. Aber unaufhaltsam. Irgendwann laufe ich auf ein verwaschenes Helgoland in grauem Dunst zu.

Einfahrt in den Südhafen von Helgoland bei trübem Wetter.
Einfahrt in den Südhafen von Helgoland bei trübem Wetter.

Das ist Nordsee. Und dabei war das nur ein kurzer Trip zur Hochseeinsel. Erst von hier aus fangen ja die ernsthaften Törns an: Nach England. Oder Schottland. Oder weiter in den Norden.

Und dann am nächsten Tag: Diese Weite. Dieses Blau. Die Luft, der Geruch vom Meer. Das ist Nordsee!

Blick nach Süden von der Nordspitze Helgolands.
Blick nach Süden von der Nordspitze Helgolands.
Die hohen Klippen und marode Zeugen von anderen Zeiten auf Helgoland.
Die hohen Klippen und marode Zeugen von anderen Zeiten auf Helgoland.

Am Samstag dann weiter nach Hörnum auf Sylt. Knappe vierzig Seemeilen, irgendwas wie sechs Stunden. Kaum Wind, so um die 8 Knoten. Weiterhin aus Nord, wie seit Tagen. Um 0,7m See laut den Apps, wieder schräg von vorne. Das ist die alte Dünung, die hoch aus dem Norden in die deutsche Bucht läuft. Sehr rund und weich. Was für ein Unterschied! Immer noch deutlich spürbar, aber das Leben an Bord ist komfortabel. Dann nimmt die Dünung weiter ab, die Sonne ist da, rundherum nur Wasser. Ich bin völlig alleine auf dem Meer, kein anderes Boot in Sicht. Niemand. Nicht mal ein Segel irgendwo am Horizont. Wann habe ich das in der Ostsee mal erlebt?

Was für eine vergnügliche und schöne Seefahrt. Das ist Nordsee.

Eine Stunde vor Hörnum, das Wasser läuft kräftig auf. Der Nordwind hat wieder etwas aufgefrischt, steht ja aber eigentlich nicht gegen den Strom? Trotzdem eine nun viel kürzere, steilere Welle. Längst nicht so nervig wie am Mittwoch, aber es wird eine lange und unschöne letzte Stunde. Strom, der dort, wo das Wasser aus oder in das Watt fließt, so stark sein kann wie in der Elbe. Oder etwas abseits der tiefen Rinnen deutlich schwächer läuft. Strom, der ein Seegatt in der einen Stunde unpassierbar machen kann, wobei eine Passage etwas später kein Problem ist. Das ist Nordsee.

Am nächsten Tag möchte ich ankern. Das Wetter soll ruhig und schön werden. Nordlich von Hörnum stehen überall Pricken mit gelben Flaggen herum. „Da sind Muschelbänke markiert, da kannst du ruhig lang fahren und auch ankern“ meinte der Hafenmeister zu mir.

Aber mitten drin, zwischen all den Pricken, ankern? Da ist es tief. Und ich will nicht trocken fallen. Hier strömt das Wasser relativ schnell, also wird hier eher harter Sand am Boden sein, das ist nichts für mein Boot (wie ich vor ein paar Jahren unfreiwillig ausprobieren musste: Ungewollt: Festgefahren, Wasser weg, trocken gefallen. Zum ersten Mal.). Ich suche mir einen Platz zwischen den Markierungen, so dass die Fischer Platz zum arbeiten haben.

Vor Anker bei Hörnum auf Sylt.
Vor Anker bei Hörnum auf Sylt. Links ist die Insel zu sehen, ich bin ein paar hundert Meter entfernt.

Auf der einen Seite in ein paar hundert Metern weißer Strand und Dünen von Sylt. Auf der anderen Seite die endlose Weite des Wattenmeers. Der Wind ist am Nachmittag weg, die Sonne brennt. Das Wasser strömt und gurgelt gemächlich am Boot entlang. Es ist unfassbar schön.

Mein Boot ist mit seinen 1,5m Tiefgang für echte Wattfahrt ungeeignet. Aber mit einem Plattbodenschiff durch diese Landschaft zu wandern, sich irgendwo einfach trockenfallen zu lassen. Am Tag sind vielleicht mal ein, zwei andere Segler zu sehen. Sonst ist man für sich in dieser fast grenzenlosen, sich ständig verändernden Wasserlandschaft. Hier auf meinem Ankerplatz bekomme ich eine kleine Ahnung davon, wie sich das anfühlen kann. Und schon von dieser Beobachterposition aus ist es: Wunderschön.

Später kommt ein großes Fischereifahrzeug ganz nahe und ein junger, freundlicher Kerl ruft mir zu, dass mein Anker auf ihren Muscheln liegt und ob ich nicht außerhalb der Pricken ankern könne? Ich gehe kurz ankerauf, verhole mich ein paar hundert Meter weiter von Sylt weg. Vom Tender aus mache ich Fotos: Die JULIUS völlig einsam auf dieser großen, offenen Wasserfläche.

Die JULIUS vor Anker im Watt von Hörnum.
Die JULIUS vor Anker im Watt von Hörnum. Alleine auf weiter Wasserfläche.

Das ist Nordsee.

Die Ostsee und ich, wir sind tiefe, alte Freunde. Auch hier gibt es mal Auseinandersetzungen, wenn ein Starkwind eine steile, kurze Welle schickt, durch die wir uns kämpfen müssen. Oder wenn zwei Wochen lang Herbst ist, mitten im Sommer. Weit überwiegend sind jedoch die traumhaft schönen Erlebnisse. Die unzähligen geschützten Buchten. Die süßen skandinavischen Orte. Die schwedischen Schären. Keine Gezeiten. Es ist eine lange Aufzählung, was mir alles an der Ostsee gefällt.

Mit der Nordsee ist es wie mit den Norddeutschen: Es dauert, bis man irgendwie warm miteinander geworden ist. Da will ich noch gar nicht von Freundschaft sprechen: So ein wertvolles Gut entwickelt sich erst nach längerer Zeit. Die Nordsee ist eine Gefährtin mit hohen Ansprüchen. Ihre Freundschaft will sich erarbeitet werden.

Ich stehe da immer noch am Anfang einer Beziehung. Schon vor sechs Jahren bin ich mit der JULIUS bei 6 Windstärken von Emden nach Helgoland gefahren (Bremerhaven nach Helgoland und Nachgereicht: Videos Bremerhaven – Helgoland (mit Test der Stabilisatoren), Helgoland – Elbe). Ab dann waren wir immer wieder in der Nordsee unterwegs. Von traumhaften Nachttörns (Weg, nur weg von hier!) bin zu einer Fahrt nach Helgoland im November (Im November von Hamburg nach Helgoland: Dunkelheit, Wind & Welle) war schon vieles dabei.

Trotzdem: Ich kratze an der Oberfläche. Die Nordsee ist so vielfältig, hat so viele Gesichter, hat so viel Anspruch. Es wird noch lange dauern, bis wir echte Freunde sind. Oder zumindest gute Weggefährten.

9 Kommentare zu “Über die Nordsee: Eine schwierige Freundschaft.

  1. Carl Gerald Selmer

    selmer carl. korvet 14clr.
    als einübung des gewässers bin ich letztes jahr auf der elbe von finkenwerder über cuxhafen nach Amrum
    & Helgoland wedel finkenwerder mit der dortigen
    segelschule zu viert war super 4 tages trip
    habe ringes mit genommen um dann mit meinem
    lindekotter via delfzijl borkum wangerooge kielkanal
    die vogelinsel fehmarn travemünde lübeck
    warnemünde Rügen dänen kreidefelsen ( Name ?)
    moen fehmarn & zurück ca 6 wochen august september
    anfang oktober das schönste wetter.
    einfach traum haft
    bei rückreise von gedser – fehmarn haben im hafen
    die wanten der segelboote. gesungen
    vielleicht 4-5. aber das boot lief gegen die see statt
    8 nur 3-4ktn irgenwann war ich dann im hafen
    das war nur langweilig weil du zuschauen könntest
    wie das seegras wuchs die Gischt kam über das Vordeck
    aber der Lindenkotter ist Schwer ca eingeräumt
    24-26 to. aber dadurch kam die corvet 14 clr ins spiel
    da sind 2 steyr motoren ca 14 ktn aber bei 6-7 ktn
    ca 8- 10 ltr x 2 ist ca 60 € sprit am Tag aber nach
    meiner prostata op will ich bis Larvik NO kommen
    nächstes jahr Trondheim so weit so gut sind die pläne
    dein blog eine Bereicherung!
    kann man was lernen !
    … montag aus dem spital dann ende juli nach sneek
    dann nordsee ostsee entlang Dk nach skaten dann
    Larvik

    i will be bak soon
    aufgeben einen brief auf der Post

    mast & schotbruch

  2. ottischn

    Hallo zusammen, finde ich auch das man viel lernen kann aus den tollen Berichten.
    Ich warte schon immer mit Spannung auf den nächsten.
    Was kostet der zollfreie Diesel gegenüber dem normalen Preis?

    Maritimer Gruß
    Otti

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