Sommerurlaub im Vänern: Eine schöne Zeit.

Der See Vänern in Schweden, direkt nach Vänersborg: Weite Wasserflächen, fast wie auf der Ostsee.
Der See Vänern in Schweden, direkt nach Vänersborg: Weite Wasserflächen, fast wie auf der Ostsee.

– Diese Geschichte spielt vom 22. bis 29. Juli 2018 – 

Erstaunlich. Ja, der Vänern ist der drittgrößte See Europas. Trotzdem bin ich überrascht, als wir Vänersborg verlassen und auf den See fahren: Der Blick über das Wasser, die weiten Flächen. Es fühlt sich fast an wie auf der Ostsee.

Nach dem bunkern in Åkersberg, direkt nach der Schleusentreppe von Trollhättan (vorherige Geschichte: Spannung zwischen Skipper und sin Fru: Steffi mag keine Schleusen), sind wir gestern noch den Trollhätte Kanal bis zu seinem Ende in Värnersborg gefahren.

Als Seefahrer ist es ungewohnt, regelmäßig auf Hindernisse wie Brücken oder Schleusen zu treffen. Die Eisenbahnbrücke in Trollhättan hatte uns fast zwei Stunden warten lassen, etwas Geduld ist da schon hilfreich. Bordhund Ole fand das aber nicht schlecht: Wir hatten am Ufer vor der Brücke festgemacht und die Zeit zum kurzen Spaziergang genutzt.

Der Vänern ist das Ziel dieser Reise. Und er hat so viel zu bieten: Unzählige Schären mit wundervollen Ankerplätzen. Nette Ortschaften. Schnuckelige Häfen. Sogar ein paar Meter Strand gibt es hier und da. Die eine Woche, die wir nun Zeit haben, reicht nur für ein erstes, vorsichtiges Kennenlernen.

„Wo kommen denn diese Wellen her…?“

Es ist windig heute, eigentlich aus Südwest: So fahren wir zuerst komfortabel unter Landschutz. Wir wollen aber noch zu einem Ankerplatz in der Natur, irgendwo auf der Hälfte des Weges bis Åmål am anderen Ende des Vänern. Und schon dort, wo der See ein bisschen breiter wird, steht eine kurze, unangenehme Welle aus Südost: Wind aus der einen, die Welle aus einer anderen Richtung? Der Vänern hat offensichtlich seine Eigenheiten.

„Natur… überall nur Natur. Hier kommen wir nicht lang.“

Zwei Stunden später liegt die JULIUS vor Anker in einer Bucht. Wir wollen mit Ole auf einer der umgebenden Schären spazieren gehen. Doch hier ist das Dickicht undurchdringlich, und überall krabbeln und fliegen Insekten. Das ist tatsächlich völlig sich selbst überlassene Natur.

Eine Bucht irgendwo im Vänern: Reine Natur. Und abends völlig einsam.
Eine Bucht irgendwo im Vänern: Reine Natur. Und abends völlig einsam.

Die andere Seite der Bucht ist zugänglicher, und wir bekommen unseren Auslauf.

Als wir zurück auf der JULIUS sind, legen die zwei Segelboote von dem kleinen Steg an der unzugänglichen Insel ab. Sie wollten nur über Tag die Einsamkeit genießen. Am Abend sind wir dann alleine. Kein anderer Mensch in Sicht- und Hörweite.

„Steffi, hörst du…?“

Meine Frau und ich sitzen noch spät auf dem Achterdeck.

„Was soll ich hören?“

„Kein Auto. Keine Motoren, Kein Flugzeug. Keine Musik. Kein Laut von Zivilisation.“

Orte, wo nicht mal in weiter Ferne irgendwelche Fahrzeuge zu hören oder künstliche Lichter zu sehen sind, finden wir nicht oft. Dafür bewegen wir uns meist in zu dicht besiedelten Gegenden. Es ist noch ganz warm, die Sonne geht erst spät unter, in der Bucht ist der Wind kaum zu spüren – wir genießen den Abend sehr.


„Was für ein Luxus.“

Früh am nächsten Morgen bin ich mit dem Hund auf eine Schäre gerudert, die zumindest am Rand auch ohne Buschmesser begehbar ist. Ole schnuppert und klettert vor sich hin, ich sitze auf dem Fels neben dem Dinghy und schaue auf die Bucht hinaus. Wieder ist es warm, der Himmel verspricht andauernden Sommer. Alles ist entspannt, leise plätschert das Wasser auf den Stein, meine Familie schläft wahrscheinlich noch auf dem Boot. Vielleicht gibt es Kaffee, wenn ich zurück komme.

Wie viel schöner kann es sein?

„Gar nicht.“

Beschließe ich für mich, bleibe noch einige Zeit sitzen und verbleibe in diesem Moment.

Åmål im Norden des Värnern: Ein hübscher Ort.
Åmål im Norden des Värnern: Ein hübscher Ort.

Åmål im Norden des Vänern ist das Ziel für heute. Die Fahrt dahin ist kurz, aber wieder etwas ruppig. Fest im Hafen ist von Wind nichts mehr zu spüren, es ist heiß.

Eine kleiner Trupp reinigt und pflegt den Hafen vor unserem Liegeplatz. Arabisch aussehende Frauen und Männer, angeleitet von einer robusten Schwedin. Mitten in der Mittagshitze. Es gibt vermutlich schönere Tätigkeiten, die Gruppe macht aber einen zufriedenen Eindruck.

„Sehen aus wie Flüchtlinge.“

denke ich für mich, und meine Gedanken schweifen ab. Im Urlaub habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, strikt keine Nachrichten zu lesen oder zu hören. Kein Spiegel Online, kein zeit.de, keine Tagesschau, kein NDR Info. Das trägt wesentlich zu meiner Erholung bei.

Doch dieses Bild der arbeitenden, mutmaßlichen Flüchtlinge lässt mich wieder über aktuelle Entwicklungen nachdenken: Über eine Kollegin meiner Frau, die als Frau die lange Flucht aus Syrien überlebt, aber fast im Mittelmeer ersoffen wäre. Über ihre sehr plastischen Erzählungen, wie das war, auf diesem langen Weg. In vollem Bewusstsein, der Mafia ausgeliefert zu sein. Getrieben von Furcht, für die mein Vorstellungsvermögen nicht ausreicht. Nun arbeitet sie als Erzieherin, einem Job, für den es praktisch keine deutschen Kräfte mehr gibt. Mit dem Ehrgeiz, alles gut zu machen und unserer Gesellschaft etwas zurückzugeben, dafür, dass sie gut aufgenommen wurde.

Ich denke an meine Versuche, mit Diskussionen auf Facebook diejenigen in meinem Land zu verstehen, die eine ehrlich empfundene Angst vor zu deutlicher Veränderung haben. Und die hauptsächlich die wenigen hergekommenen Personen sehen, die sich nicht integrieren wollen oder gefährlich sind. Ich denke an schlaue Menschen, die Ängste ausnutzen, um politische Macht zu erreichen. An Ideologien und Mechanismen, deren böse Natur doch schon begraben schien. An die einfachen und schnellen Lösungen, die sich so viele erhoffen, die von diesen Menschen versprochen werden, und die es in der Wirklichkeit doch nicht gibt.

„So viele komplexe Zusammenhänge. So viele Meinungen, Bedürfnisse und Interessen, für die erträgliche Kompromisse gefunden werden müssen. Wenigstens kann auch durch meine Steuern all das finanziert werden, was nötig ist, um zumindest einigen Flüchtlingen einen Start in ein sicheres, friedliches Leben zu ermöglichen, das für uns hier als so völlig selbstverständlich und natürlich empfunden wird.“

denke ich noch, da kommt meine Familie und löst mich aus dem Rückfall in die komplizierte Welt des normalen Lebens außerhalb der Urlaubszeit.


Etwas südlich von Åmål ist eine Insel mit einem kleinen Strand, die schauen wir uns am nächsten Tag an. Die Zufahrt sieht breit aus, der tiefe Bereich ist aber sehr eng. Wir tasten uns erfolgreich im Schritttempo vor, an beiden Seiten des Schiffs sind Felsen unter Wasser zu sehen.

Belohnt werden wir mit einer typisch schwedischen Idylle: Am Ufer ein paar wunderschöne Wochenendhäuser, die Insel liebevoll gepflegt von einem privaten Verein. Tolle Wege durch Wald, hier und da mit Abzweigungen zum Ufer und Blick auf den See. Ein kleines, aber schönes Stück Strand, ideal zum baden. Davor guter Ankergrund. Wieder könnte es nicht schöner sein.

Eine breite Zufahrt zur Bucht, aber mit einigen kritischen Stellen unter Wasser.
Eine breite Zufahrt zur Bucht, aber mit einigen kritischen Stellen unter Wasser.
Ein Stück Strand im Vänern in wunderbarer Abendstimmung.
Ein Stück Strand im Vänern in wunderbarer Abendstimmung.

Ein schöner Tag reiht sich an den nächsten, ein Ort ist schöner als der andere. In Mellerud treffen wir eine eng befreundete Familie, die mit dem Wohnwagen in Schweden urlaubt.

Ihr Campingplatz hat einen langen und sehr seichten Sandstrand in einer hübschen Bucht mit vielen kleinen Schären. Der Platz ist nach Osten hin völlig ungeschützt, aber das Wetter ist ruhig und stabil, so dass wir dort ankern können und eine Attraktion für all die anderen Urlauber sind.

Ein Sommerabend in Mellerud am Vänern.
Ein Sommerabend in Mellerud am Vänern.
Die Bucht am Campingplatz "Vita Sandars".
Die Bucht am Campingplatz „Vita Sandars“. Ganz weit hinten ist ein kleiner, weißer Fleck: Unser Boot.
Der Strand am Campingplatz "Vita Sandars". Ganz flach, toll zum baden.
Der Strand am Campingplatz „Vita Sandars“. Ganz flach, toll zum baden.

„Ein Sommer in Schweden“ – Diese Worte waren verheißungsvoll im Winter und inspirierend im Frühjahr. Diese Tage am Vänern füllen die Verheißung mit Leben und lassen jeden Wunsch Wirklichkeit werden. Sie schaffen Erinnerungen, die sich auch noch nach vielen Jahren gut anfühlen werden. Richtig gut.

Doch letztlich macht die Zeit auch vor uns nicht halt. Wir müssen wieder zurück. Erstmal bis Göteborg: Dort steigen Steffi und Leo aus. Sie müssen schon ein paar Tage eher nach Hause, damit Leo einen Flieger zu einer von der Jugendfeuerwehr organisierten Reise nach Osaka, Japan bekommt.

Dass ein 15 jähriger Junge schon die Möglichkeit hat, eine so andere Kultur kennenzulernen, ist keinesfalls selbstverständlich. Natürlich müssen wir ihm das ermöglichen, und so werden Lena, Ole und ich das Boot alleine zum letzten Halt dieses Urlaubs bringen: Kopenhagen.

Zurück durch Vänersborg wieder in den Trollhätte Kanal.
Zurück durch Vänersborg wieder in den Trollhätte Kanal.
Auch im Trollhätte Kanal kann es mal eng werden mit zwei Berufsdampfern, die sich begegnen.
Auch im Trollhätte Kanal kann es mal eng werden mit zwei Berufsdampfern, die sich begegnen.
Abendspaziergang an der Promenade in Göteborg.
Abendspaziergang an der Promenade in Göteborg.

In Kopenhagen übernimmt mein Bruder mit seiner Familie die JULIUS. Sie verleben noch herrliche zwei Wochen Urlaub und bringen das Boot souverän zurück nach Damp.

Unser Sommerurlaub ist endgültig zu Ende. Drei Wochen, wieder vollgepackt mit Erlebnissen. Mit dem besten Wetter. Mit Freude und Harmonie, Einsamkeit, Gesellschaft, Natur, Städten, Herausforderungen, Entspannung. Das Leben ist schön.


Lieber Leser,

in dieser Geschichte nehme ich Bezug auf Politik und schwierige Themen, weil es auch Teil des Urlaubserlebnisses war und erzählenswert ist. Ich vertraue dir, dass Kommentare zu meinen hier geteilten Gedanken anständig, reflektiert und freundlich sind.

Unschöne, beleidigende und unangemessene Kommentare werde ich nicht veröffentlichen und sofort löschen. Das ist meine Seite, ich lebe hier und erwarte einen guten Umgang.

9 Kommentare zu “Sommerurlaub im Vänern: Eine schöne Zeit.

  1. Christian Vetter

    Moin Julian,
    jetzt hast Du Deine Fangemeinde lange hungern lassen, bis zum nächsten Reisebericht. Und das Warten hat sich gelohnt. So wunderschön geschrieben und bebildert macht der Artikel Lust, am Liebsten gleich die Leinen loszuwerfen. Eine schöne Abwechslung hier im tief verschneiten Süden. Und mit Deinen Gedanken zu – wie gut es uns geht – und wie ganz anders diese Welt von denen empfunden werden muß, die zu uns kommen mit ihren Hoffnungen – sprichst Du mir zutiefst aus dem Herzen.

    Vielen Dank und herzliche Grüße
    Christian

  2. Markus

    Schöner Bericht. Die Texte gefallen mir persönlich besser als die Videos. Und den „politischen“ Inhalt finde ich gut, er gehört mit zum Leben.

    1. Julian Buß

      Danke, Markus! Die letzten Videos adressieren natürlich eine andere Zielgruppe… und es geht viel schneller, so ein Video zu erstellen als eine Geschichte zu schreiben. Daher kann ich (leider) nicht so viel schreiben wie ich eigentlich gerne würde.

  3. Jakob

    Hallo Julian,

    Deine Fortsetzung habe ich lange erwartet….Danke für diesen tollen Bericht und die Arbeit, die Du Dir damit machst.

    Insbesondere Deine Gedanken im Mittelteil teile ich 100 pro. Ich kenne Dich nur virtuell, stelle mich Dir aber als sehr reflektierten, belesenen Menschen vor, der, obwohl augenscheinlich ohne Geldsorgen, empathisch und mit offenen Augen durch die Welt geht. Bitte mehr davon!

    Eine kleine Anmerkung sei mir aber gestattet: Der Erzieherberuf ist nicht nur wichtig, sinnstiftend und abwechslungsreich. Man kann sogar, wie ich finde, sehr gut davon leben.

    Danke. Jakob

    1. Julian Buß

      Danke, Jakob für die netten Worte. Ich habe sehr lange nachgedacht, ob ich den politischen Mittelteil aufnehme oder nicht. Aber Kapitän Schwandt (wenn nicht bekannt, unbedingt googeln und am Besten seine Biografie lesen!) hat einmal bzgl. der aktuellen Entwicklungen gesagt: „Dagegen halten!“. In diesem Sinne habe ich mich dafür entschieden, diesen Aspekt in die Geschichte aufzunehmen und bin froh, das ich bisher nur nette Kommentare bekommen habe.

  4. Siggy

    Schön das es weitergeht. Der See hat es damit auf Emilen Muss ich auch m al hin Liste geschafft 😉

  5. Jürgen

    Moin, ein schöner Bericht. Auch wenn ich (meine Frau wurde fast von einem Syrer vergewaltigt) Deine Ansichten zum Thema Migration nicht teile. Und dass es keine „Deutschen“ für den Beruf des Erziehers gibt, ist schlicht falsch. 3 Freundinnen meiner Tochter lernen diesen Beruf. In der Ausbildung sind die Flüchtlinge allerdings mehr Hürde als Vorteil. Keine Disziplin, kein Respekt, kaum Sprachkenntnisse. Es ist also nicht alles so toll, wie Du es Dir erhoffst….

    1. Julian Buß

      Hallo Jürgen,

      so ein Erlebnis prägt die persönliche Einstellung natürlich nachhaltig, das ist mehr als verständlich. Aber warum ist es bei der einen Gruppe (Menschen, die Hilfe und Schutz suchen) erlaubt, von wenigen (die ich im Übrigen in meinen Gedanken ja explizit erwähnt habe) auf alle zu schließen, bei einer anderen Gruppe, in der Kriminalität genauso vorkommt, (z.B. den Menschen, die schon seit Jahrzehnten hier leben) aber nicht?

      Auch habe ich nur geschrieben, dass es *praktisch* keine Deutschen für den – hier zufällig gewählten – Job des Erziehers gibt und nicht, dass es gar keine gibt. Richtig ist, dass sich meine Aussage auf die Erfahrung im direkten persönlichen Umfeld (Kita Leitung) bezieht – da ist das aber definitiv der Fall. Dass junge Menschen gerade diesen Job lernen ist ja schön zu hören, ändert aber nichts daran, dass es dort – genau wie in sehr vielen anderen Bereichen – große Schwierigkeiten gibt, Personal zu finden.

      Natürlich ist nicht alles toll, niemand – auch ich nicht – behauptet das. Aber das alles schlecht ist, stimmt halt einfach auch nicht.

      Ich denke, bei allen Schwierigkeiten, die Migration mit sich bringt, lohnt es sich, auch mal einen Schritt zurück zu gehen und die Entwicklung aus einer größeren Perspektive, weg von Einzelfällen, zu betrachten.

      Denn auch bei diesem Thema ist es doch so, wie in jedem anderen Bereich auch: Es gibt Schwierigkeiten, es gibt Gefahren, aber es gibt auch Chancen und Vorteile.

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