Du und ich, wir alle wissen, dass gefühlt unheimlich viel schief läuft. Die Leute da drüben, die in dem Laden neulich, die Spinner in dem und dem Land. Die täglich aufhetzenden Schlagzeilen im Boulevard, die einfach nur um Aufmerksamkeit schreien und sie fast immer auch bekommen. Weil es einfach zu verführerisch ist, sich über andere aufzuregen und so kurz mal den eigenen Sorgen und Nöten zu entkommen.
Dass nüchtern betrachtet auch unheimlich viel gut läuft, wird von den Schlagzeilen verheimlicht. Gute Nachrichten verkaufen sich nicht, das war schon immer so. Wer die technische Seite der Algorithmen in den sozialen Medien versteht, ist jeden Tag wieder erstaunt, wie perfekt menschliche Psychologie ausgenutzt wird, um immer mehr Aufregerthemen zu platzieren und Zeit von Nutzer:innen so lange wie irgend möglich in Anspruch zu nehmen: Du sollst auf der Seite bleiben, um jeden Preis! Auch um den Preis, dass ganze Gesellschaften aufgehetzt, Debatten vergiftet werden.
Und wer den „Mainstream“ Medien (was immer auch dieser Kampfbegriff beschreiben soll) entkommen will, der landet möglicherweise bei den „Alternativen Medien“ – die dieses Prinzip nur noch extremer betreiben, um sich ihre Kundschaft heranzuzüchten und zu halten.
Doch: Zu einem Spiel gehört, dass alle mitspielen. Und wer sich einfach mal dazu entschließt, das Spiel nicht mehr mitzuspielen, kann Abstand gewinnen. Abstand, um Dinge mal aus einer anderen, vielleicht größeren Perspektive, zu betrachten. Meinungen zu reflektieren und in Frage zu stellen. Und: einfach mal runterzukommen.
Oha, der Skipper wird philosophisch
Ich wollte nur auf einen Youtube Kanal hinweisen, der mich fasziniert. Letztlich gehört dazu aber ein größeres Bild, und so komme ich nicht umhin, etwas philosophisch zu werden. Aber hey, es ist mein Blog, ich lebe hier und kann posten, was mir sinnvoll erscheint.
Vor einigen Wochen hatte ich bei mir selbst entdeckt, dass mein Nachrichtenkonsum überhand nahm. Täglich x-mal habe ich einige Stamm-Nachrichtenseiten aufgerufen. Und wie kann man anders, als ob des Zustands der Welt zu verzweifeln?
Vor allem mit einem Thema hatte ich mich seit nunmehr eineinhalb Jahren intensiv beschäftigt, Artikel und Kurznews dazu aufgesogen, Videos geschaut, Politik, Strategien, Taktiken analysiert. Das war alles interlektuell interessant, hat mich aber auch jeden Tag wahlweise aufgeregt oder tieftraurig gemacht. Vor ein paar Wochen bekam ich gesagt, ich beschäftige mich deutlich zu viel mit diesem einen Thema, es gäbe noch so viel mehr wichtige Themen auf der Welt. Es gab fast Streit, welche Krise auf der Welt nun die Wichtigste ist.
Später dann habe ich mich gefragt: Wofür?
Wofür investiere ich einen deutlichen Teil meiner Lebenszeit darin, Nachrichten aufzusaugen und über Dinge nachzudenken, auf die ich keinerlei Einfluß habe? Warum gehe ich dafür in aufgeregte Diskussionen und riskiere Streit über Themen, die im Großen natürlich massiv wichtig, in meinem täglichen Leben aber objektiv völlig bedeutungslos sind?
Die erste Maßnahme: Entgiftung
Immer mal wieder habe ich mir in Urlauben eine Nachrichtensperre auferlegt. Das habe ich nun wieder getan, abseits des Urlaubs, im normalen Alltag. Ich habe einfach mal mein Verhalten geändert: Keine Nachrichtenseiten im Netz mehr lesen, Tagesschau, heute oder was auch immer gucken. Alle Videos, die Youtube mir auf der Startseite zu politischen Themen anbietet, bewusst (!) nicht angeklickt. Soziale Medien hatte ich auch vorher nur sehr wenig konsumiert, nur in Facebook ab und zu mal reingeschaut. Auch das: Einfach mal nicht machen.
Eine Arbeitswoche lang wollte ich das machen. Und habe es durchgehalten, und weiter gemacht. Drei Wochen lang.
Und tatsächlich: Die Welt dreht sich auch ohne mich.
Ein Großmeister im Runterkommen
Auf einmal hatte ich unfassbar viel Zeit. Wer nicht mehr ständig in der Mittagspause oder Abends Nachrichten konsumiert oder sein Leben als Brennstoff für sozialen Medien verbraucht, fragt sich auf einmal: Was schaue ich denn nun? Was lese ich in der Mittagspause? Womit fülle ich die kurzen Pausen, wenn der Rechner an einer Sache ein paar Minuten beschäftigt ist, oder es noch fünf Minuten bis zur nächsten Videoschalte sind?
Dave vom Narrowboat Isness zeigt, wie es geht:
Dave erzählt in seinen Videos bewusst sehr, sehr langsam. Es ist das krasse Gegenteil von all den „guck mich an! Guck mich an! Hier! Hier! HIER!“-Videos auf Youtube. Mach mal einen Selbstversuch: Schaffst du es, das ganze Video durchzugucken, in einem Zuge, ohne vorzuspulen oder zu skippen?
Dave ist nach einer persönlichen Krise auf ein Narrowboat gezogen. Fraglos kann und will nicht jeder ein Leben führen wie er. Auch ich nicht. Aber seine Fähigkeit, einfach mal… nichts zu tun, die Natur zu beobachten, sich an den kleinen Dingen erfreuen ist – aus meiner Sicht – beeindruckend.
Mittlerweile konsumiere ich wieder Nachrichten: Ab und zu, sehr wohl dosiert, höchstens einmal am Tag. Oft mit mehreren Tagen Abstand. Ich erlebe an mir, dass ich einen viel größeren inneren Abstand zu all den Krisen dieser Welt habe. Ja, ich möchte grundsätzlich im Groben wissen, was passiert. Aber nein, ich muss nicht jedes Detail wissen, jede neue Entwicklung in Echtzeit verfolgen, mich jeden Tag aufregen oder traurig sein.
Denn das ändert an diesen Dingen schlicht: Nichts.
Und immer mal wieder schaue ich ein Video von Dave auf seinem Narrowboat Isness. Nicht alle finde ich gut, manche sind mir immer noch zu langsam, da bin ich weiterhin zu ungeduldig. Aber ich merke: Nach einem seiner Videos habe ich wieder mehr Abstand zu der chaotischen Welt, bin ruhiger und kann wieder deutlicher die kleinen und auch großen Dinge sehen, die gut sind.
Weder Du noch ich können etwas dagegen tun, wie Nachrichten und soziale Medien funktionieren. Aber jeder kann sich weniger aufregen. Und mehr Gutes sehen.
Was für ein toller Betrag-Glückwunsch. Trifft bei mir voll in Schwarze. Auch mir genügt es völlig zu wissen was so los ist auf unseren Welt. Keine Details, keine Aufreger und keine strittigen Debatten über das Weltgeschehen. Was ich für mich versuche… Meinen
„extrem klein gewordenen Garten“ zu hegen und zu pflegen. So nenne ich mein pers. Umfeld, seien es Bekannte, der oder die Freundin, pers. Aktivität die mir Spaß und Ruhe bringt. Aber am Ende muss jeder für sich seinen hoffentlich zufriedenen Weg finden.
Danke für deinen Kommentar, Detlef 🙂