Sommer 2020: Auf halbem Weg.

Gut geschützt in dieser Bucht, Abfahrt zur Hunderunde.

Eine Pause. Jedenfalls für einen Nachmittag, Abend und die Nacht. Nachdem der Anker gefallen ist, fehlt irgendwas. Einen Augenblick später komme ich darauf: Das heulen des Windes. Das Pfeifen rund um das Schiff. Das knattern der Persenning, wenn nicht penibel alle Knöpfe festgemacht sind.

Es ist fast unwirklich ruhig. Vor wenigen Minuten noch fuhren wir durch aufgewühltes Wasser, dessen Schaumkronen von der Luft abgetragen und in unsere Gesichter gejagt wurden. Die Wellen waren nur klein, winzig fast angesichts dieses Starkwindes und brachten die JULIUS nicht aus der Ruhe. Ein Segen, dass wir jetzt hier, in diesen geschützten Gewässern sind.

Was hatten wir für Pläne! Norwegen! Stavanger Fjord! Erstmal einhand nach Skagen hoch. Ist auch nicht viel weiter als bis nach Göteborg, und das hatte ich vor einigen Jahren in drei Tagen geschafft. Die Familie wäre gemütlich mit der Bahn nach gekommen. Dann von Skagen eben nach Norwegen übersetzen, durch das launische Skagerrak zwar, aber auch dort gibt es mal ruhiges Wetter.

„Wir möchten mal etwas wirklich neues sehen… mal andere Landschaft als immer nur Schweden und Dänemark“

sprachen die Kinder im letzten Herbst. Die Fjorde Norwegens (für die Slartibartfast mit Recht einen Preis bekommen hat), gerade bei Stavanger, sollten diesen Wunsch erfüllen.

Ein schöner Plan. Der im Frühjahr zerfiel, als das Ausmaß der Pandemie klar wurde. Geschlossene Grenzen überall, ob wir überhaupt irgendwo hin fahren können, blieb lange ungewiss. Schnell fehlte mir die Gewissheit, innerhalb Europas einfach so herumreisen zu können. Schengen, Reisefreiheit – wie selbstverständlich diese Errungenschaften bereits geworden waren wurde erst schmerzlich bewusst, als es sie nicht mehr gab.

Wenige Wochen vor unserem Sommerurlaub wurde dann klar: Unser Land hat gut gehandelt, die allermeisten Leute waren diszipliniert genug, die Zahlen entwickelten sich nachhaltig in die richtige Richtung. So konnte zumindest Dänemark eine Einreise wieder erlauben.

Welch ein Privileg wir als Bootseigner haben, dass wir Pläne einfach so ändern können! Keine Reservierungen, keine Buchungen, wir können uns einfach für ein neues Ziel entscheiden: Durch den Limfjord. Am einen Ende rein, am anderen Ende raus. Von der Ostsee zur Nordsee, dann über Hvide Sande und die Nordfriesischen Inseln nach Helgoland. Von dort eben noch durch den Kiel Kanal und wieder zurück nach Damp. Ein guter Plan B mit vielen Gewässern, die wir noch nie besucht haben.

Sanfte Hügel, windiger Himmel. Bordhund Ole guckt interessiert zum Ufer.

„Ist das schön hier! Kommt, wir nehmen einen Sunddowner auf dem Achterdeck.“

Wir sind in der Harre Vig, einer kleinen, kreisrunden Bucht ungefähr in der Mitte des Limfjords. Rundherum steigt das Land etwas an, wir liegen wie in einer Senke. In Windrichtung liegt etwas Wald, dessen hohe, dicht stehende Bäume ein für den Wind undurchdringliches Bollwerk bilden.

„Erstaunlich. Hier regt sich kein Lufthauch, auf einmal ist es fast warm.“

In kurzer Hose und leichter Jacke sitze ich auf der Bank an Deck. Wir stoßen mit Sekt – den erstaunlicherweise auch unser siebzehn jähriger Sohn gerne trinkt – und Limonade auf diesen schönen Ort an. Die Sonne färbt sich langsam rötlich und nähert sich zunehmend dem Horizont, bescheint die Natur um uns herum mit ganz warmem, abendlichen Licht.

Im Wald ist ein Ferienhaus eingebettet, auf der entfernten Seite der Buch steht ein Gehöft und noch ein paar Wochenendhäuser. Eben, bei der Hunderunde kurz nach dem Ankerfall, haben wir eine andere Familie an dem kleinen Stück Strand gesehen. Sonst ist es ganz wunderbar einsam hier.

Im Wald ein Ferienhaus, sonst: Nur Natur an diesem Ufer.

„Also, ich finde es langweilig. Sieht hier doch genau so aus wie sonst in Dänemark…?“

Leo spricht aus, was beide Kinder denken. Die Empfindungen über diesen Ort sind offensichtlich unterschiedlich.

„Langweilig? Guck dich um, das ist doch eine traumhafte Natur hier! Eine sanft hügelige Landschaft, da etwas Wald, dort ein Stück Steilküste, dahinten sind Wiesen und Felder…“

„…ja, halt wie an tausend anderen Orten in Dänemark…“

Auf der anderen Seite der Harre Vig: Hügel, Wald, Wiesen – und vor allem: geschützt vor dem Starkwind.

Es ist total verständlich: Teenager haben einen anderen Blick auf die Dinge. Für Steffi und mich allerdings ist die Harre Vig ein Höhepunkt dieser Reise.


Orte, von denen ich bisher erzählt habe:


Diese Geschichte spielt im Sommer 2020. Fortsetzung hier: Licht nach dem Gewitter.

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