„Wieder auf See.“
denke ich und lächle, als wir die Seeschleuse von Lauwersoog passiert haben und die ersten Seehunde auf den Sänden faulenzen sehen. Ja, auf dem Meer kann der Seegang das Vergnügen trüben. Die Rechnerei mit den Gezeiten kann – zumindest in der Nordsee – nerven. Der Respekt vor Naturgewalten muss hier viel größer sein.
Aber: auf See empfinde ich das Gefühl von Freiheit. Von Weite. All das Wasser um mich herum, es beruhigt und entspannt mich. Ich fühle mich zugehörig, wohl und zufrieden. Und davon abgesehen empfinde ich die Fahrt auf dem Meer als viel einfacher und bequemer.
Das Wetter bleibt trübe und kühl, aber ruhig. Die JULIUS fährt uns sanft aus dem Watt und weiter über die offene Nordsee, an niederländischen Inseln vorbei. Ein Fischer begegnet uns, sonst sehen wir lange niemandem. Hier ist augenscheinlich wirklich deutlich weniger Betrieb als auf der Ostsee.
Wir wollen nach Borkum, der westlichsten deutschen Nordseeinsel. Norderney hatte mir ja schon nur bedingt gefallen, und natürlich weiß ich, dass die beiden Häfen von Borkum nicht schön sein sollen. Juist wäre ganz bestimmt viel mehr nach unserem Geschmack – aber mit anderthalb Meter Tiefgang kommen wir da gar nicht oder nur in einem sehr kleinen Zeitfenster hin. Borkum dagegen kann immer angelaufen werden, zumindest der große Hafen ist auch bei Niedrigwasser tief genug.
„Das… ist… nicht wie erwartet….“
„Stimmt. Es ist schlimmer.“
„Yep.“
Nach einer ereignislosen und daher guten Fahrt erreichen wir die Insel und biegen in den ersten Hafen, „Port Henry“, ein. Langsam tuckern wir durch das Hafenbecken. Es ist voll. Erstaunlich voll, wie wir nachher noch denken werden. Unsere Blicke schweifen still und etwas ungläubig über die Anlage. Verwunderung. Stirnrunzeln. Dann obige kurze Konversation.
Überall liegen gepflegte Sportboote. Wie schon erwähnt, der Hafen ist so gut wie voll. Nur ganz am Ende erspähen wir noch einen Platz, an dem wir längsseits festmachen können. Gepflegte, zum Teil auch große und sehr teure Boote. Sie bilden einen Kontrast, wie er schärfer nicht sein könnte: Das Holz auf den Stegen. Die Poller und Klampen. Brücken. Versorgungsterminals mit Strom und Wasser. Alles ist: Eine Ruine.
„Ich weiß nicht….“
Leo und Lena müssten jetzt auf den Steg springen, um die Leinen fest zu machen. Aber so recht trauen sie sich nicht, ob der rotte Holzbelag das aushält?
„Hier liegen ja überall Boote, deren Crews werden auch über diese Stege gehen, also werden sie schon noch halten…“
ermutige ich sie. Und in der Tat hält der Steg. Dann sind wir fest und lassen das Ambiente weiter auf uns wirken. Ich schaue auf Kabel und Wasserschläuche, die offen und ungeschützt über den Steg zum Versorgungsterminal laufen. Grün und spakig von der Bewitterung. Das Ufer aus Steinen ist wild bewachsen, hier und da liegt Müll. Habe ich da eine schnelle Bewegung vom Gebüsch ins Wasser huschen sehen? An vielen Stellen sind die Holzbohlen der Stege aufgequollen, stehen ab, haben sich aus ihrer Fassung gelöst. Wo Metall ist, ist auch Rost.
Wir brauchen Wasser. Das nächste Ziel wäre Helgoland, wo es umständlich ist, Wasser zu bunkern. Ich schaue noch mal auf die Schläuche, die Frischwasser vom Land am Steg entlang zum Hahn transportieren. Das sind keine Trinkwasserschläuche. Sie sind schmutzig und rott. Wer gerne eine Zillion Keime bunkern möchte ist hier genau richtig. Ich werde das aber nicht machen, dann müssen wir lieber etwas haushalten.
Eine Ruine.
Ich wusste, dass Port Henry renovierungsbedürftig sein soll. Aber so schlimm habe ich es mir nicht vorgestellt. Diese Anlage wurde sehr lange sich selbst überlassen. Sie vermittelt unmissverständlich die Botschaft: Die Insel Borkum ist an Yachttourismus nicht interessiert.
Nein, nicht nur „nicht interessiert“ – ich spüre sofort pure Ablehnung. Wir sind hier nicht willkommen. Es ist nicht mal ein irgendwie morbider Charme. Nur rott und dreckig.
An Land angekommen schauen wir uns das Gebäude mit den sanitären Anlagen und einem Restaurant an: Das ist alles völlig in Ordnung und gepflegt. Das Restaurant soll Berichten zufolge sogar recht gut sein. Was wohl der Grund dafür ist, dass es an Land ganz gut aussieht, der Hafen selber aber in einem derartigen Zustand ist? Vermutlich hat Borkum einfach genug Gäste, die mit der Fähre kommen.
Wir erkunden die Gegend. Der andere Hafen, ein großes Becken vor allem für die Berufsschifffahrt, sieht besser aus, bietet aber nur sehr wenig Platz für Sportboote. Wirklich attraktiv ist es hier auch nicht.
Ein Bus fährt zu witzigen, sehr unregelmäßigen Zeiten in den Ort. Wir nehmen ihn. Tatsächlich muss auch der Bus genommen werden – wir sind locker 20 Minuten unterwegs. Zu Fuß wäre das ein ordentlicher und wenig schöner Marsch direkt an der Straße entlang. Mit dem Rad wäre das allerdings eine schöne Tour – hätten wir Räder dabei und wäre das Wetter besser.
Wir wandern ein wenig durch den Ort, am Strand und über die Promenade. Das Wetter ist wirklich bescheiden, was sicher zu unserem getrübten Eindruck beiträgt. Ein fast schon tropischer Regenguss treibt uns in ein Restaurant. Wir essen etwas, schauen uns um.
„Ach, im Hochsommer ist es bestimmt ganz schön hier.“
„Es ist Hochsommer.“
Diesem Dialog zwischen Mutter und Sohn ist nichts hinzuzufügen.
Am Abend sind wir zurück am Boot. Das Wetter hat sich beruhigt, es ist windstill und milde. Wir sitzen auf dem Achterdeck.
„Mindestens die nächsten drei Tage ist Starkwind. Wir werden hier einwehen.“
sage ich. Blicke schweifen noch mal durch den Hafen. Einwehen? Hier? Das trifft auf erkennbar wenig Gegenliebe. Wortlos stehe ich auf, gehe runter zum Kartentisch, greife mir den Tidenkalender. Ich blättere ein wenig, runzel kurz die Stirn, denke nach. Lege den Tidenkalender weg, gehe wieder nach oben.
„Oder, wir lassen uns auf Helgoland einwehen…“
nehme ich den Gesprächsfaden wieder auf. Die Aufmerksamkeit meiner Crew ist mir nun sicher.
„Das Wasser läuft gerade ab, es ist noch für ungefähr eine Stunde Licht. Wir könnten jetzt sofort los, kämen noch im Hellen durch das Seegatt. Dann durch die Nacht an den Inseln vorbei, über die Verkehrtstrennungsgebiete und ab nach Helgoland. Morgen Vormittag würden wir ankommen.“
„Meinst du das ernst…? Du hast nicht geschlafen und willst die Nacht durchmachen…?“
„Die ganze Nacht wird noch total ruhig sein, so komfortabel kommen wir erstmal nicht wieder über die Nordsee. Und am frühen Morgen löst mich einer von euch ab. Ja, ist etwas anstrengend, aber ehe wir hier einwehen…?“
Sekunden später ist Action an Bord: Kurz noch mal mit Ole Gassi gehen, Navigation vorbereiten, Systeme hochfahren, Maschine starten. Keine zehn Minuten später legen wir ab und fahren aus der Ruine heraus. Die starke Strömung der ablaufenden Tide nimmt uns sofort mit und schiebt uns zügig durch das Seegatt, auf die dem Meer zugewandte Seite Borkums.
Borkum, die Insel, auf der wir uns nicht willkommen gefühlt haben, wandert in der Dämmerung achteraus. Wir fühlen alle, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich bin nicht müde, eher aufgeregt: Eine Nachtfahrt über die Nordsee habe ich noch nicht gemacht. Wird es ähnlich ruhig wie auf der Ostsee? Klar, auf den Autobahnen ist immer Verkehr. Aber erstmal fahren wir lange parallel zu den Inseln, das sollte entspannt werden.
Und vor den großen Dampfern habe ich Respekt, aber keine Angst: Dank AIS weiß ich ja immer, wessen Kurs ich wann und wo kreuze. Mit dem Radar habe ich mittlerweile viel Erfahrung, und bei der klaren Nacht sind Navigationslichter gut auszumachen.
Ruhe kehrt ein auf dem Boot. Ich halte draußen Wache, die Crew geht in die Kojen. Die Maschine läuft leise vor sich hin, der Autopilot steuert. Tonnen anhand ihrer Kennung suchen und finden, Radarechos zuordnen, AIS Signale im Blick behalten – ich habe gut zu tun. Ab und zu stehe ich auf, stelle mich auf das Achterdeck und schaue mich um. Es ist eine wunderschöne, klare, sehr ruhige Nacht. Über mir spannt sich der beeindruckende Sternenhimmel auf, strahlt in vollem Licht. Als wenn da eine feste Himmelskuppel mit Millionen kleiner Löcher wäre, durch die ein ewiges Himmelslicht scheint.
Ja, wir haben definitiv richtig entschieden!
Nein, wie auf der Ostsee ist es nachts auf der Nordsee nicht. Ich bin erstaunt, wie viele Sportboote unterwegs sind. Eigentlich ist immer irgendein anderes Boot in der Nähe, das ich auf dem Radar im Blick behalten muss. Das macht mehr Arbeit als die Berufsschifffahrt, die ja brav im Verkehrstrennungsgebiet bleibt. Dazu einige Fischer, die manchmal verwirrende Kurse fahren. Gefühlt liegen dazu noch überall irgendwelche Seezeichen herum, die mit den Augen nicht zu sehen sind.
Es ist eine interessante und kurzweilige Fahrt. Frühmorgens löst mich Steffi ab und ich verhole mich auf die Bank im Salon, auf der unser Bordhund mir nur widerwillig Platz einräumt. Angekuschelt an sein weiches, warmes Fell schlafe ich sofort ein.
Wir erreichen Helgoland bei bestem Wetter: Die Sonne lacht, der Wind wird erst am Nachmittag zunehmen. Natürlich gibt es schon lange Päckchen, einige sieben oder acht Boote breit. Nichts anderes haben wir erwartet, und auf Helgoland haben wir damit auch überhaupt kein Problem. Hier funktioniert das Päckchen liegen total entspannt. Irgendwer will in der Nacht los? Kein Problem, dann wird abends eben umsortiert. Stahlyacht an Kunststoffboot? Hilft ja nix, notfalls wird eine extra Landleine ausgebracht.
Alle gehen respektvoll und höflich miteinander um – das ist ein Grund für den besonderen Zauber dieser Insel, und warum wir gerne hier sind.
Schnell finden wir einen Platz an einem noch verhältnismäßig kleinen Päckchen, unsere Leinen werden angenommen, wir klaren das Boot kurz auf und brechen dann sofort zu einem ersten Landgang auf. Eine Herausforderung, wenn wir Außenlieger sind, ist Ole: Es wäre unhöflich, den Hund selbst über all die Schiffe laufen zu lassen. Also muss ich ihn tragen. Wir hatten uns für einen Kooikerhondje entschieden, weil diese Tiere nur mittelgroß und nicht so schwer werden. Bis zu 12 Kilo waren anvisiert.
An diese Vorgabe hat sich unser Kooiker allerdings nicht gehalten: Er ist größer als andere und wiegt 18 kg. Es sieht sicher witzig aus, wie ich versuche, den Hund mit einem Arm zu tragen, während ich mich mit der anderen Hand an irgendwelchen Salings und Relings festhalte, während wir zusammen über all die Boote klettern. Auf dem Steg angekommen weiß ich dann auch, was ich getan habe. Aber hey, das ist Helgoland, hier muss das so!
Wir verleben ganz wunderbare vier Tage auf dieser Insel, und verlieben uns noch einmal mehr in diesen Ort. Die Helgoländer haben sich das richtig gut eingerichtet: Am späten Vormittag kommen die Tagesgäste, sorgen für Leben und Umsatz, am späten Nachmittag sind alle wieder weg und es ist wird ruhig. Wer Helgoland wirklich etwas kennenlernen will, sollte daher unbedingt mindestens eine Nacht bleiben.
Was haben wir eigentlich vier Tage hier gemacht? Entspannten Urlaub, im besten Sinne! Lange Spaziergänge mit dem Hund, dabei jedesmal fasziniert das immer neue Farbenspiel der blauen Nordsee im Kontrast zu den roten Felsen und grünen Wiesen betrachten. Nach einer guten Ergänzung für die Bordbar gesucht (und gefunden! Talisker Dark Storm – ganz großes Kino!), auf dem Achterdeck sitzen und das Hafenleben beobachten, Klönschnack halten… ja, hier auf Helgoland gefällt es uns wirklich gut.
Diese Geschichte spielt vom 11. bis zum 15. Juli 2019.
Sehr schöner Bericht.
Toll geschrieben! Aber mit Ole das ist ja wirklich ne Plakkerei. Unser Floris wiegt noch mal ca 5kg mehr. Ich glaube nicht daß ich ihn tragen könnte. Wünsche euch die nötige Handbreit, wo immer nötig. Ahoi vom Dieter von der Second Chance.
Ah, die paar Mal wo wir auf Helgoland sind geht das… wenn es zu schwierig wird, nehmen wir das Dinghy
Die rot-weißen Häuschen sind Strandzelte, keine Umkleidekabinen.
Wir als alte Juist-Urlauber kennen sie noch aus früheren Jahren, da waren sie dort fast ausschließlich anzutreffen. Man sitzt da zu zweit eigentlich ganz gemütlich, etwas hart und gerade auf einer Holzpritsche, aber man kann sich ja ein Kissen drunter legen. Heute sind diese Zelte fast ausgestorben – man leistet sich eben die komfortableren Strandkörbe. 😉
Der Juister Sportboothafen fällt übrigens fast komplett trocken bei NW. Die Boote liegen aber im weichen Schlick. Juist ist auf jeden Fall einen Besuch wert: autofrei, nur Pferdekutschen und Fahrräder! Und ein 17 km langer, feinsandiger Strand.
Toller Bericht, danke
Moin Julian,
danke für deine Erzählung. Tja, mit dem was sich „Port Henry“ nennt, eigentlich aber eher die Bezeichnung Loch verdient, warst du schlecht beraten. Nie würde ich auch nur den Versuch machen, dort einzulaufen, zumal ich schon manchen Segler an der vor dem Hafen liegenden Barre scheitern sah.
Die Alternative, nämlich der Burkanahafen, ist gar nicht so schlecht. Dort gibt es drei „Brücken“, die noch aus Zeiten der Marine stammen. An zumindest einer der Brücken, meist der linken innen, dürfen auch heute noch Sportboote liegen. Das Flair ist durchaus rustikal, keinesfalls mit einer modernen Marina vergleichbar, aber man fühlt sich willkommen, die Hafenmeisterin ist eine wirklich nette Frau mit der man so manchen angenehmen Klönschnack halten kann. Das Dorf, die Stadt Borkum kann man sich sparen, genauso gut könnte man Gelsenkirchen-Buer als Urlaubsort wählen. Die Insel ansonsten ist aber durchaus erkundenswert und bietet so einiges an ruhiger Natur – sofern man über ein Fahrrad verfügt. Für Lauffaule, so wie mich, ist das ohne Rad nichts, die Wege sind zu weit.
Bis vor runden zehn Jahren war Burkana ein durchaus beliebter Pausenhafen für Leute, die von Holland in die Elbe gingen und umgekehrt. Mit Einzug der Windparkversorger und Lotsen in den Hafen hat sich das tatsächlich drastisch geändert. Und du hast schon recht: man tut eher nichts für uns Wassertouristen auf Borkum. Trotzdem: Ich komm dort gern – ich mag auch den rotten Charme des Hafens.
Alles Gute!