Endlich, endlich! Das Wetter hat sich doch noch beruhigt. Drei Tage Sturm sind vorbei, es ist Donnerstag und alle Wettervorhersagen berichten von ruhigen drei bis vier Windstärken beginnend heute gegen Mittag. Das ist gut, denn wir wollen – wir müssen! – einmal quer über das Kattegat, bis an die dänische Ostküste irgendwo südlich von Grenå.
Aber das ruhige Wetter wird sich nur bis morgen Mittag halten. Dann frischt es wieder auf, und dann ist er wieder da, der Starkwind, der schon in den vergangenen Wochen unser ständig unangenehmer Begleiter war.
Ein Wetterfenster, eigentlich nur ein Fensterchen, von maximal 24 Stunden. Mit der Familie reise ich gerne bei entspannter See: Den Luxus, erst nach Anholt zu laufen und dort zu übernachten, werden wir uns daher nicht leisten können.
Und so hatten wir beschlossen, einen großen Schlag zu machen. Direkt nach Samsø, einer kleinen dänischen Insel, die auch sehr schön sein soll und die wir sowieso besuchen wollten. Das sind 120 Seemeilen und ungefähr 18 Stunden Fahrt. Wir wollen am späten Nachmittag auslaufen, dann hat sich die See beruhigt, und die Nacht durch fahren. Auf Samsø werden wir dann gegen zehn oder elf Uhr am nächsten Tag ankommen.
An Nachtfahrten ist meine Familie bereits gewöhnt, das ist niemandem mehr unangenehm. Die Kinder vor allem finden es vielmehr super, verschlafen sie doch einfach den Großteil des Törns. Und einfacher als bei dieser Route kann es auch kaum sein: Kurz nach dem Start müssen wir ein Verkehrstrennungsgebiet (Schiffsautobahn) queren, und sonst geht es für eine lange Zeit erstmal nur: geradeaus. Bis zum Windpark bei Anholt, dort gibt es dann eine Kursänderung, dann ist wieder für Stunden nichts zu tun.
Die ORA BLU muss auch weiter, sie werden heute nur nach Anholt fahren und sich dann morgen durch den Starkwind kämpfen. Sie laufen gegen Mittag aus, wo der Wind noch gut weht, die See aber schon handig ist. Grob haben Barbara und Peter die gleiche Richtung wie wir, vielleicht sehen wir uns noch einmal irgendwo in Dänemark?
„Und, wann wollt ihr los…?“
fragt uns Michael, der Eigner der CRUM und der MIRA, am Mittag.
„Wie legen um 16hundert ab.“
ist meine Antwort. Michael lächelt, sagt „ist gut, ich bin dann da und verabschiede Euch“ und denkt vermutlich wohlwollend „das ist ja genau geplant, typisch deutsch.“.
Um 15:50 Uhr sind bei uns alle Vorbereitungen abgeschlossen. Steffi und ich schlendern kurz rüber zur MIRA, wir wollen uns verabschieden. Aber: Michael ist gar nicht da. Na sowas? Das Schlauchboot der CRUM fehlt, Michael scheint also auf dem Wasser unterwegs zu sein. Schade, wir können doch nicht einfach so ohne Verabschiedung fahren?
Als wir uns umschauen, entdecke ich ein Boot, was in Europa nur sehr selten zu sehen ist: eine Nordhavn. Das sind US-amerikanische Langfahrt-Motorboote, mit denen man außergewöhnliche Reisen machen kann, beispielsweise „mal eben“ von Südafrika nonstop in die Karibik zu fahren. Hier in Hönö liegt eine Nordhavn 46, die zwar schon etwas älter, aber absolut fähig für Ozeanüberquerungen ist. Das Boot hätte ich mir auch mal gerne angeschaut, aber die Zeit reicht immerhin für ein schnelles Foto:
Nun sind wir allerdings unpünktlich: Erst um 16:02 Uhr laufen die Maschinen und wir fangen an, die Leinen zu lösen.
„Schau mal, da kommt ein Schlauchboot!“
ruft Leo und zeigt auf die Hafeneinfahrt. In der Tat, da kommen Michael und seine Hündin Clara von ihrem Ausflug zurück.
„Ich wusste doch, auf Euch ist Verlass und Ihr legt wirklich um vier Uhr ab!“
sagt Michael verschmitzt als er sein Schlauchboot neben uns zum stehen gebracht hat. Wir verabschieden uns gegenseitig, während sich die JULIUS langsam vom Kai löst. Noch einmal kurz Winken, und dann lassen wir Hönö Klåva in unserem Kielwasser.
Die See hat sich deutlich beruhigt, es steht nur noch eine lange, sanfte Dünung, die ruhige, angenehme Schiffsbewegungen bewirkt. Nach den letzten paar Schären liegt nur noch der Tiefwasserweg für die großen Dampfer vor uns, bevor es navigatorisch entspannt wird. Dort sind bereits mehrere Schiffe im Gänsemarsch zu sehen.
Bei der Querung dieser Schiffsautobahn muss ich noch einmal einen Schlenker fahren, danach lege ich südwestlichen Kurs an, den wir bis zum frühen Morgen beibehalten werden.
Es wird Abend, wir haben uns eingerichtet und die Kinder bereits die Schlafanzüge angezogen. Die Fahrt ist ruhig, AIS- und Radar-Alarm sind aktiv und so können wir noch einen Film gucken. Der Skipper sitzt dabei auf dem Käptn’s Chair am Innensteuerstand und lässt alle paar Minuten den Blick auf die See schweifen.
Für technisch Interessierte: Die Navigation mit Coastal Explorer läuft in einer virtuellen Maschine auf einem Mac Mini, unter Mac OS läuft parallel Plex, mit dem wir den Film schauen. AIS oder sonstige Warnungen gibt Coastal Explorer via Sprache und Alarmtönen aus, die wir parallel zum Film hören würden. Am Außensteuerstand steht ein Android basiertes Tablet, was via WLAN und TeamViewer eine Fernsteuerung der Coastal Explorer Navigation ermöglicht.
Wenn uns also ein Dampfer zu nahe kommt, der Autopilot spinnt und wir vom Kurs abkommen oder sonst irgendeine Unregelmäßigkeit passiert, sagt Coastal Explorer uns das – auch während ein Film läuft. In dem Fall habe ich am Außensteuerstand dann die vollständige Navigation und kann entsprechend handeln.
Aber es passiert: nichts. Der Film geht zu Ende, ohne eine Schiffsbegegnung. Seezeichen gibt es hier auch keine, Fischernetze ebensowenig, und Land schon gar nicht.
Im Gegensatz zur Hinfahrt sind wir nun nördlich von Anholt unterwegs. Und hier ist wirklich keine Socke. Niemand. Weder Sportboot, noch Fischer, noch Dampfer. Die ganze Nacht fährt die JULIUS stoisch und ruhig ihren Kurs in der Dunkelheit, hier und da mal ein Stern, aber meist ist der Himmel bedeckt und um uns herum ist es schlicht schwarz. Im Salon glimmen ein paar Instrumente, eine kleine rote Lampe und der stark heruntergedimmte Monitor des Navigationssystems.
Ich lege im Salon kurze Schlafintervalle ein, und der Rest der Familie schläft. Die einzig wirklich notwendige Tätigkeit ist, alle fünf Stunden den Maschinenraum zu kontrollieren, bei Bedarf Brennstoff in den Tagestank nachzufüllen und das Ganze in das Logbuch einzutragen. Steffi wollte eigentlich eine Wache übernehmen, aber das ist schlicht nicht nötig bei einer derart ereignislosen Nachtfahrt.
So kommen wir ausgeruht am frühen Vormittag in Samsø an und finden in der Bucht bei Langør schnell einen Ankerplatz. Hochoffiziell wird die schwedische Gastflagge durch die dänische ersetzt, dann können wir das Dinghy wassern und zu einem kurzen Landgang aufbrechen.
Nach dem Landgang entdecken wir ein holländisches Stahlboot, das hier auch vor Anker liegt und dessen Namen wir von Barbara und Peter von der ORA BLU kennen. Die Eigner dieses Bootes, ein jung gebliebenes Paar, waren in ihrem Bootsleben schon viel unterwegs und lassen es jetzt ruhig angehen. Genau genommen, sehr, sehr ruhig: Irgendwann im Sommer fahren sie nach Samsø in eben diese Bucht und werfen den Anker. Dann bleiben sie dort. Für Wochen!
Langør besteht nur aus ein paar Häusern, ohne Einkaufsmöglichkeit. Nur einen kleinen Stand mit lokalem Gemüse gibt es.
„Wovon lebt ihr denn, wenn es hier nichts zum einkaufen gibt..?“
frage ich die beiden, als wir mit unserem Dinghy unterwegs sind und bei ihnen längsseits liegen, um Grüße von der ORA BLU zu übermitteln.
„Wir kaufen in Deutschland ordentlich Konserven ein, das sind die Besten, viel besser als die holländischen!“
bekommen wir die lachende Antwort. Das Paar findet, dass diese Bucht einer der schönsten Plätze überhaupt ist, und warum dann dort nicht einfach liegen und die Zeit genießen?
Wir klönen noch ein wenig, die beiden sind sehr nett und der Mann ist sehr kenntnisreich in Sachen Stahlbootbau und Werften. Wir tauschen uns noch im Nachgang ein wenig via E-Mail aus und ich lerne ein paar neue Sachen über die Werft, die unsere JULIUS gebaut hat.
Leider ist es jetzt schon spät, und wir können der Einladung der Beiden zum Kaffee nicht mehr folgen. Schade! Ich hoffe, wir sehen diese beiden netten Leute wieder, im nächsten Jahr.
Dieser Eintrag spielt am 11. und 12. August.