An Tag Zwei der Überführung nach Damp starte ich morgens um kurz nach sechs Uhr aus Glückstadt, um zumindest noch etwas Strom mit zu nehmen, bevor die Tide kippt.
Die Ruderanlage funktioniert wieder tadellos, und das Licht so früh am Morgen ist toll:
Ich bin nun wieder alleine unterwegs, Uli und die Jungs haben gestern eine Bahn von Glückstadt zurück nach Hamburg genommen. So fahre ich gemütlich weiter auf der Elbe Richtung Schleuse Brunsbüttel. Wie lange es wohl dieses mal dauern wird, bis ich in den Kanal komme?
Es ist ordentlich Wind, aus West, und erstmal steht dieser Wind noch gegen den Strom und produziert eine spürbare Welle. Innerlich stelle ich mich schon auf ein langes, sehr schaukeliges Warten vor der Schleuse ein: Der Wartebereich in Brunsbüttel ist praktisch ungeschützt, und bei Westwind kommt die Nordseewelle fast ungehindert in die Elbmündung hinein. Ohne Fahrt helfen mir da auch die Stabilisatoren nicht.
„Vielleicht entspannt sich die Lage auch noch, wenn die Tide gekippt ist und der Strom mit dem Wind läuft“ denke ich, während die Julius in den Wellen stampft und Brunsbüttel schon fast in Sicht ist. Ein Stück ist es aber noch und es ist genug Zeit, noch einen Kaffee zu machen, während die Ruderanlage das Boot unabhängig von der Welle auf geradem Kurs hält. Selbst zu steuern wäre unbequemer, keine Frage.
Den heißen Kaffeebecher in der Hand sitze ich dann wieder am Außensteuerstand, schaue in die Gegend und sehe von achtern ein großes Containerschiff aufkommen. „Weit weg“ denke ich. Außerdem halte ich mich außerhalb des Fahrwassers auf, und so messe ich dem Riesen wenig bis gar keine Bedeutung bei.
„Schon erstaunlich, wie schnell so ein großer Dampfer ist“ sage ich zu mir selbst einen Augenblick später als ich sehe, dass das Containerschiff schon erheblich näher gekommen ist. Ein Blick auf das AIS bestätigt meinen Eindruck: Mit fast 20 Knoten durchpflügt der Berg aus Stahl die Elbe und überholt mich kurze Zeit später, wobei eine gut sichtbare Heckwelle auf meine Julius zuläuft.
Die Frage, ob alles im Schiff seefest – also gesichert gegen Rutschen und Fallen – ist, formt sich in meinem Kopf, unmittelbar bevor uns die Welle seitlich trifft. Die Julius holt nach Steuerbord über, sicher dreißig Grad oder mehr, und rollt mit Macht zurück nach Backbord. „Schade, dass ich die Stabilisatoren ausgeschaltet habe, um keine Geschwindigkeit zu verlieren“ denke ich noch, als es in der Pantry vernehmlich scheppert und klirrt.
Noch einmal nach Steuerbord und wieder zurück nach Backbord rollen, dann beruhigt sich mein Schiff. Noch nie haben wir bisher Gläser oder Geschirr verloren. Bis heute.
Die Gläser sind in der Pantry in einem hoch gelegenen Schapp verstaut, dessen Tür nicht gesichert war und dem Freiheitsdrang eines Glases somit nicht widerstehen konnte. Unversehrt hat das Glas diese Freiheit allerdings nicht lange genießen können, nun verteilte es sich in tausend Scherben über dem Boden. Seufzend mache ich mich daran, aufzuklaren.
„Kiel Kanal I für Sportboot Julius, over“ rufe ich die Schleuse Brunsbüttel über Funk, als ich etwas später nur noch zehn Minuten von der Wartezone entfernt bin. „Julius!“ kommt knapp, aber nicht unfreundlich die Antwort.
„Moin, ich bin ungefähr noch zehn Minuten entfernt und möchte gerne in den Kanal schleusen, over“. Jetzt ist alles möglich. Von freundlicher Antwort über Ignoranz bis zum völlig uninformativen „Warten Sie auf das Signal!“ habe ich hier schon alles erlebt.
„Julius, das passt gut, in zwanzig Minuten ist die Schleuse bereit“. Hier hat ein netter Schleusenmeister Dienst, wie schön!
„Zwanzig Minuten, das hab ich mit, vielen Dank, over“ gebe ich kurz als Antwort und freue mich. Zwanzig Minuten! So kurz habe ich hier noch nie gewartet. Und das, obwohl ich das einzige Sportboot weit und breit bin.
Tatsächlich kommt wenig später das Einfahrtsignal und ich fahre in eine leere Schleusenkammer ein. Das Tor schließt sich hinter mir, ich bekomme eine Exklusiv-Schleusung und komme mir fast verloren in der über 120 Meter langen Kammer vor.
Minuten später kann ich in den Nord-Ostsee-Kanal ausfahren. Ich winke freundlich in Richtung Schleusenwärter, als ich die folgende Konversation über Funk höre:
„Kiel Kanal I für Segelyacht Calypso.“
„Kiel Kanal hört.“
„Wann geht die nächste Fähre in die Elbe?“
Fähre? Was denn für eine Fähre?
„Madame, Fähren haben wir hier nicht. Eine Schleuse haben wir, die steht jetzt offen“ antwortet der Schleusenmeister dann auch launig, ein deutliches Schmunzeln ist selbst über Funk zu hören.
Da muss die Funkerin auf der Segelyacht selbst lachen und der weitere Funkverkehr bleibt entspannt. Ich habe nun eine lange Kanalpassage vor mir, bis zur Rader Insel bei Rendsburg geht es heute noch.