Er hört einfach nicht auf.

Ole wartet, dass es losgeht.

Der Ankerplatz bei Fænø (vorherige Geschichte) am Anfang der Reise war ein erster Höhepunkt, genauso wie die Harre Vig, in der wir nach der Hälfte des Weges angekommen sind. Von dort geht es am nächsten Morgen weiter durch den Limfjord. Der Plan ist, am westlichen Ausgang des Fjords, bei Thyborøn, auf die Nordsee zu fahren. Dort dann an Dänemarks Westküste wieder nach Süden, vorbei an Hvide Sande, Esbjerg, den nordfriesischen Inseln bis nach Helgoland.

Für die morgendliche Hunderunde fahre ich mit Bordhund Ole noch mal an den kleinen Steg an einem Stück Strand in der Harre Vig. Die Sonne scheint und wärmt die Haut, es ist ruhig und fast sommerlich. Nur wenige Meter von hier, um eine Ecke herum, aus dem Windschatten des hochgelegenen Waldes, ist allerdings wieder ordentlich Wind. So wie seit – ich weiß es gar nicht mehr – sicher über einer Woche. Es weht, es pfeift, es heult, die Wolken jagen über den Himmel. Jeden Tag. Mal etwas mehr, mal etwas weniger. Aber immer viel.

Unter vier Beaufort hatten wir nur ganz am Anfang dieser Reise, als wir unterwegs auf dem Kleinen Belt waren. Der Nachmittag bei der zauberhaften Insel Fænø gab den Anfang einer langen Starkwindperiode, die immer noch anhält. Und von der das Ende auch auf Tage hinaus nicht absehbar ist. Immer westliche Winde allerdings, bei einem Törn an der dänischen Ostküste ein unschätzbarer Vorteil: Die Küste bietet fast durchgehenden Landschutz, der Seegang bleibt meistens sehr handig.

In mich gekehrt laufe ich den Strand entlang. Ole ditschert hinter mir her, auf ihn muss ich hier nicht weiter achten. Wenn der Abstand zwischen uns zu groß wird legt er einen kurzen Sprint ein, oder fällt immerhin in einen zügigen Trab – auf jeden Fall sehe ich ihn alle paar Minuten wieder neben mir.

„Seit Tagen starker Westwind“ und „Nordseeküste“ – diese beiden Gedanken wabern in meinem Kopf. Es ist offensichtlich, dass beides eine denkbar schlechte Kombination ist. Starkwind aus West: Da beginnt der Fetch bei England, und bis Dänemark bauen sich drei, vier Meter hohe Wellen auf. Über Sylvester sind wir immer in Hvide Sande. Dort gibt es weit in die Nordsee herein reichende Molen. Sehr massiv, sehr stark sind da dunkle Findlinge in der Größe von Kleinwagen gestapelt, in der Mitte ein zwei Meter breiter Weg aus riesigen Beton-Quadern die aussehen, als seien sie für die Ewigkeit gegossen.

Oft ist da genau so ein westlicher Starkwind. Es ist sehr beeindruckend, auf der sicheren, festen Mole stehend meterhohe Wellen auf uns zurollen zu sehen und sich zu ducken, wenn sie mit Getöse an den Findlingen zerbrechen, sich in Gischt auflösen und über uns hinweg stoben.

Zurück beim Tender steige ich in Gedanken versunken in das kleine Boot, warte, bis Ole reingesprungen ist, löse die Leine. Starte den Motor und fahre langsam zurück zur JULIUS.

„Besteht irgendeine Chance, dass sich die Wetterlage in den nächsten drei, vier Tagen grundsätzlich beruhigt…?“

denke ich. Die Vorhersagen geben das nicht so recht her. Und die verschiedenen Wettermodelle sind sich da auch ziemlich einig.

„Selbst wenn es ein paar Tage ruhiger ist… die See läuft doch noch locker einen Tag nach…“

Die JULIUS kommt näher. Es ist schon etwas lächerlich: Das kurze Stück hätte ich auch rudern können. Das geht nur mit dem neuen Tender nicht, hier gibt es nur Paddel wie beim Kanu. Manchmal bedauere ich das. Ein schnelles Motorboot mit Steuerkonsole oder ein Dinghy zum rudern – beides geht nicht zusammen.

„Und dann sind wir auf der Nordsee, in Hvide Sande, und es fängt wieder genau so an zu wehen. Was dann?“

Fest am Mutterschiff hieve ich den Hund an Bord, der sofort aufgeregt in den Salon läuft in der Hoffnung, dass da schon sein Frühstück steht. Mir steigt Kaffeeduft in die Nase. Für das kurze Stück heute spare ich mir die Mühe, den Tender an die Davits zu hängen und fest zu verzurren – wir können ihn auch einfach hinterher ziehen.

Ich vertage die Entscheidung zum weiteren Vorgehen erst einmal gedanklich, mache es dem Hund nach und freue mich auf den Morgenkaffee.


Etwas später gehen wir ankerauf, in der friedvollen Ruhe dieser geschützten Bucht. Langsam hieve ich den Anker und bringe die Sicherung an der Kette an. Nur ein leichter Lufthauch bewegt das Boot gemächlich vom Ufer weg. Ich schlendere das Laufdeck entlang nach achtern, setze mich auf den Steuerstuhl. Steffi hat schon den zweiten Kaffee fertig gemacht, er steht dampfend vor mir.

Eine leichte Kurve führt das Boot zur schmalen Öffnung, die zurück in den Limfjord führt. Die Rinne ist tief, aber schmal und führt eng am südlichen Ufer entlang. Auf dem Hinweg waren wir vorsichtig und langsam, jetzt kann ich den alten Track abfahren und die JULIUS dampft zügig zurück in den Fjord. Und damit auch zurück in den Wind.

Die Ufer sind alle nahebei, es gibt kaum Fetch, die Wellen sind klein, klatschen aber trotzdem kräftig gegen den Rumpf. Wie kleine Rabauken, die uns wissen lassen wollen, dass sie nur ein wenig mehr Auslauf bräuchten um groß und böse zu werden. Zuerst kommt der Wind direkt von vorn, zerrt an Persenning des Außensteuerstands und lässt die Nationale stramm flattern.

Etwas später wird der Fjord in der Kås Bredning wieder etwas breiter, nicht viel, zuerst vielleicht eine Meile, später dann drei Meilen. Jedenfalls sind beide Ufer noch klar zu sehen. Der Kurs ist nun ein anderer, Welle und Wind kommen seitlich, trotz des doch eigentlich immer noch nahen Ufers steht hier bestimmt ein halber Meter See. Die JULIUS rollt ein wenig, wir können dem Treiben aber erstaunt und entspannt zusehen. Ein deutlich kleineres Boot fährt ein paar hundert Meter neben uns, auf einem leicht anderen Kurs. Es hat gut zu tun mit dem Seegang:

Wir stampfen weiter durch das bewegte Wasser zur Venø Bugt. An der Ostseite der Insel Venø habe ich auf der Seekarte einen Ankerplatz ausgemacht, den „Venø Tap“, ein Nase unter Wasser mit zwei bis drei Metern Tiefe. Dort können wir uns hinter der Insel verstecken und müssten ruhig liegen. Auch diese Insel soll schön sein, und tatsächlich ist schon von weitem ein schöner Strand und eine leicht hügelige Landschaft zu erkennen.

In der Kås Bredning, jetzt mit achterlichem Seegang.

Um in die Bucht einzufahren ändern wir den Kurs und bekommen Wind und See nun achterlich. Was für eine Wohltat, sofort ist das Schiff deutlich ruhiger und Ole kann mit seinem Dauerlauf aufhören. Der Hund ist seit einer wilden Tour vor zwei Jahren viel empfindlicher geworden, er mag Seegang gar nicht mehr. Kuscheln, streicheln, im Arm haben… das alles hilft nicht, er bleibt sehr unentspannt. Irgendwann hat er aber eine interessante Strategie für sich entwickelt: Er läuft.

Auf dem Laufdeck. Einmal ums Boot. Und wieder. Und wieder. Zwischendurch hält er mal kurz an, guckt ob wir alle noch da sind, und dann geht’s zur nächsten Runde. Zuerst waren wir dann sehr unentspannt, weil wir ihn bei grober See nicht mehr ständig im Blick hatten. Andererseits ist das Schanzkleid der JULIUS so hoch, dass er gar nicht von Bord fallen kann. Und es hilft ihm, also lassen wir ihn laufen.

Hinter der Insel, auf dem Venø Tap, ist der Seegang sofort weg, wir sind hier ganz gut geschützt. Der Jambo Anker hält wie immer beim ersten Versuch, allerdings fegt der Wind heftig über die schmale Insel und übt ordentlich Druck auf das Boot aus. Die Kette ist straff gespannt, die JULIUS liegt wie angenagelt auf der Stelle und schwojt nicht nach links und nicht nach rechts.

Dieses Mal kommen auch die Kinder mit zur Hunderunde und Inselerkundung. Ja, die Insel ist nett. Der Strand ist schmal, aber schön. Es gibt wenige Ferienhäuser, wir treffen kaum andere Menschen, der Hund hat seinen Spaß und tobt sich aus.

Am wilden Strand von Venø.
Der Hund bei seiner Lieblingsbeschäftigung.

Zurück auf dem Boot stehen wir auf dem Achterdeck. Wir liegen ruhig, aber der Wind pfeift an allen Ecken und Enden.

„Warum noch mal wollen wir hier übernachten…?“

Fragt der Sohn, nicht zu unrecht.

„Mmmh… naja, eigentlich wollen wir ja noch weiter nach Thyborøn…“

Leichtes Stirnrunzeln bei Leo, die eine Augenbraue hebt sich eine Winzigkeit, der Blick sagt „willst du mich verarschen…?“

„…aber tatsächlich kann ich auch nicht erkennen, dass wir über die Nordsee zurück nach Hause kommen. Er hört ja einfach nicht auf, der Wind. Das geht noch die nächsten Tage so. Vermutlich sollten wir einfach umkehren.“

Zustimmendes Nicken in der ganzen Familie.

„Morgen soll noch mehr Wind sein. Vielleicht ist es eine gute Idee, mit dem Umkehren jetzt gleich anzufangen und sich wieder in die Harre Vig zu kuscheln.“

Erneut zustimmendes Nicken überall. Es wird ein sehr kurzer Besuch auf Venø, und wir treffen in großer Einigkeit die Entscheidung: Erneute Planänderung und erstmal Rückmarsch durch den Limfjord.


Orte dieser Reise, von denen ich bisher erzählt habe:


Diese Geschichte spielt im Sommer 2020. Fortsetzung folgt!

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