Hoffnung!

Immer noch auf dem Fels.
Immer noch auf dem Fels.

– Diese Geschichte spielt am 19. Juli 2018 und ist die Fortsetzung von „Wie kommen wir nur wieder runter vom Fels“? –

Ich bin aufgewacht. Wie schon ein paar Mal diese Nacht. Es ist gegen fünf Uhr morgens und mein Kopf, meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe.

Mit Dingen, die ich im Augenblick nicht beeinflussen kann, beschäftige ich mich nie. Solche Gedanken kann ich gut abstellen und auf später verschieben. Normalerweise. In dieser Nacht jedoch, wo wir auf dem Felsen sitzen und die Lösung dieses Problems völlig unklar ist, arbeitet mein Geist durchgehend.

Als gestern Abend nach dem Besuch der schwedischen Seenotretter klar war, dass sich erstmal nichts bewegt, wollten wir so gut es geht zur Normalität übergehen. Der Erfolg dieses Versuches war allerdings bescheiden, die Eindrücke des Erlebten zu stark. Lena wollte elterliche Nähe, so ist Steffi in die Bugkajüte gezogen. Mein Sohn Leo, mittlerweile mehr Mann als Kind, ist zu mir nach achtern gewechselt. Alle haben noch lange gelesen, bevor dann irgendwann doch die Augen zugefallen sind.

Fünf Uhr morgens. Ich bin müde, aber gleichzeitig so auf Touren, dass ich einfach nicht mehr schlafen kann. Ich verhole mich mit Decke und iPad in den Salon: Da kann ich lesen, ohne jemanden zu stören. Außer Bordhund Ole. Als ich es mir auf der Bank gemütlich mache guckt er mich fragend an. „Was willst du denn jetzt schon hier…?“ scheint er fragen zu wollen, aber das ist natürlich meine menschliche Interpretation seines Hundegesichts. Schon liegt sein Kopf wieder auf den Pfoten und er schläft weiter.


„Wir räumen die Getränkebilge aus und packen das ganze Gewicht auf das Achterdeck.“

sage ich zu meiner Familie, als alle gegen acht Uhr aufgestanden sind. Schlafen konnte niemand mehr. Zurück von der morgendlichen Hunderunde hatte ich vom Schlauchboot aus noch mal mit dem Bootshaken den Grund vermessen: Nach achtern ist nun alles tief.

„Was soll das denn jetzt noch bringen…?“

fragt Leo zweifelnd. Er hat Geduld, auf professionelle Hilfe zu warten, die ich aber noch gar nicht organisieren konnte – das Büro des Versicherers ist noch nicht geöffnet.

„In der Bilge liegen locker 200 Kilo Getränke und dazu 400 Kilo Bleigewichte! Wenn das ganze Gewicht von Mittschiffs nach achtern geht, wo es tief ist, können wir uns vielleicht doch befreien…“

Die Warterei, ohne etwas tun zu können, macht mich mürbe. Und selbst wenn wir uns dann immer noch nicht selbst befreien können: Auch für spätere professionelle Hilfe wäre diese Maßnahme sicher hilfreich.

Steffi und Lena sind auch froh, etwas tun zu können, und fangen an, die leichteren Kisten mit Lebensmitteln umzupacken. Mürrisch packt dann auch Leo mit an, als es an die Getränke geht.

Schließlich sind die Bleigewichte dran. Zur Verbesserung des Trimms lagern sie in dieser Bilge, natürlich ganz unten. Auf dem Bauch liegend kann ich je ein Gewicht zur Zeit gerade so packen und mit viel Geschnaufe und Gefluche die 30 Zentimeter bis auf einen Zwischenboden hieven. Dann muss ich meine Haltung wechseln, mich mit einem Arm abstützen und es weiter hoch und aus der Bilge heraus befördern.

„Fuck you, sind die Dinger schwer.“

fluche ich, als ich das erste von zwölf Gewichten nach oben befördert habe. Leo runzelt die Stirn und will das Gewicht mit einer Hand heben, um es auf das Achterdeck zu bringen. Er ist echt ein kräftiger Kerl, aber seine Lässigkeit wird der Masse dieses Objektes nicht gerecht. Leise fluchend nimmt er beide Hände und schleppt das Gewicht leicht wankend den Niedergang hoch, durch den Salon und weiter nach draußen.

„Jungejunge, die sind wirklich schwer…“

stimmt er mir zu, nachdem er wieder zurück ist. Ich habe in der Zwischenzeit zwei weitere Gewichte aus der Bilge geholt und schwitze schon wie nach einer halben Stunde Sauna.

„Und das ist erst der halbe Spaß. Da sind noch zwei Kanister, die mit Bleikugeln gefüllt sind. Die sind sicher doppelt so schwer.“

antworte ich.

Schweißnaß und keuchend versuche ich mich eine halbe Stunde später von der Strapaze zu erholen. Nach einigen Minuten drängt mich aber wieder die Ungeduld. Es ist kurz vor neun, gleich fängt die Bürozeit des Versicherers an.

„So, jetzt gilt’s. Entweder es klappt doch noch aus eigener Kraft, sonst muss ich am großen Rad drehen. Alle Mann nach achtern, bitte.“

Maschine an, kurz warm laufen lassen. Dann: AK* rückwärts. Leerlauf, Ruder hart Backbord, wieder AK zurück.

Noch mal. Ruder hart Steuerbord, Maschine AK. Leerlauf. Stoßweise zurück, Leerlauf, zurück. Wieder und wieder.

Nichts.

Das Boot bewegt sich keinen Millimeter. Null. Nichtmal gewackelt hat es.


„Schadensabteilung, Guten Morgen, was kann ich für sie tun…?“

kommt eine symphatische Stimme aus dem Telefon. Ich berichte unsere Situation und all den erfolglosen Versuchen, uns zu befreien.

Zu Versicherungen habe ich ein eher kritisches Verhältnis. In der Regel wird es anstrengend, wenn mal wirklich was passiert ist und man ihre Leistung in Anspruch nehmen möchte. In diesem Fall allerdings fühle ich mich sofort gut aufgehoben.

Ich bin nicht bei einem Callcenter in Irland oder sonstwo gelandet, sondern in einem richtigen Büro in Hamburg, bei einer Mitarbeiterin, die Ahnung hat, helfen kann und auch helfen will.

Sie teilt mir mit, wie es weiter geht: Ich soll selbständig die Bergung bei dem Unternehmen, das uns die schwedischen Seenotretter genannt haben, organisieren. Die finanziellen Aspekte werden geklärt, sobald die Aufwände bekannt sind. Die Bergungskosten werden aber auf jeden Fall übernommen. Genauso steht es auch in den Versicherungsbedingungen, aber es tut gut, das noch mal unbürokratisch am Telefon bestätigt zu bekommen.

Webseite von Frog Marine Service
Webseite von Frog Marine Service (Klick um zur Webseite zu kommen).

„Ich versuche nun Hilfe bei Frog Marine in Göteborg zu bekommen. Das dauert sicher alles etwas, schnappt euch doch den Hund und guckt euch die Burg an.“

sage ich zu meiner Familie. Im Grunde stimmen die Kinder zu, aber eigentlich wollen sie mit hören, wie ich auf Englisch mit den Leuten telefoniere und die Bergung organisiere. Ein legitimes Interesse, das mich aber durchaus etwas unter Druck setzt: Als Stotterer ist es grundsätzlich nicht einfach, mit unbekannten Menschen zu telefonieren. Der Gegenüber sieht mich halt nicht, und wenn ich an einem Wort ein paar Sekunden hänge, kommt schnell ein irritiertes „Hallo, sind sie noch da…?“ aus der Leitung.

Und während ich mich in der englischen Sprache schriftlich sehr gut bewegen kann, spreche ich sie selten und stottere daher in dieser Sprache noch mehr. Und dann noch am Telefon, interessiert beäugt von meinen Kindern, in deren Augen ich natürlich gerne der souveräne Skipper bin.

„Hi, this is Julian, I’m calling from a Motoryacht near Kungaelv, we’re grounded and need help.“

Es hilft ja nichts, wenn wir hier weg wollen, muss ich diese Gespräche führen, ob es anstrengend für mich ist oder nicht. Also habe ich die Nummer gewählt, gespannt dem Freizeichen gelauscht und den ersten Satz mit diversen Hängern und Pausen übermittelt bekommen. „Cool ist es gerade, wenn ich als Stotterer diese Situation in den Griff bekomme“ denke ich bei mir, während der Schwede am anderen Ende antwortet.

Er heißt Klas Johannson, erkundigt sich nach der genauen Position, ob wir ein Leck haben und solche Sachen. Ein netter Mensch, der mir ruhig und geduldig zuhört. Ich entspanne mich etwas und das Sprechen fällt mir immer leichter.

„So, do you have the equipment needed to tow us from the rock? Do you have a diver available to check my boat?“

frage ich, nachdem die grundlegenden Punkte alle geklärt sind.

„Yes, no problem, we’ve got what is needed.“

Klingt gut. Klingt sehr gut. Lieber hake ich aber noch mal nach:

„It’s a heavy boat. Your boat has enough power…?“

Klas lacht.

„Absolutely!“

Es geht noch ein wenig hin und her, wir tauschen Kontaktdaten aus, ich halte Rücksprache mit der Versicherung, die wiederum mit Frog Marine und so weiter.

Die Profis packen ihre Sachen und fahren gleich los.
Die Profis packen ihre Sachen und fahren gleich los.

„We are packing diving gear and will cast off soon.“

Diese Nachricht bekomme ich etwas später per SMS von Klas Johannson. Die Familie hat sich mittlerweile zur Burgbesichtigung begeben, ich bin alleine, stehe vom Kartentisch auf und erlaube mir ernsthafte Hoffnung.

– Fortsetzung hier: Freiheit! – 

*AK = Äußerste Kraft

5 Kommentare zu “Hoffnung!

  1. Kai

    Immer positiv sehen das ganze.
    Es ist euch nichts passiert, es ist nicht auf hoher See passiert das Boot scheint erstmal dicht zu sein und habt neue Erfahrungen gesammelt.
    Bin aber auch schon gespannt wie denn der Trip ausgeht.

    Für die Zukunft dann wieder immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel 🙂

  2. Bernd

    Hallo Julian,
    das ist ja für Euch alles noch recht gut ausgegangen. Ich interessiere mich schon seit längerem für Deine Geschichten – bist Du mir doch ca. 3 Jahre voraus.
    Ich war in diesem Jahr schon mehrmals in Holland und habe auch schon ein geeignetes Boot im Auge.
    Aus diesem Grund interessiert mich bei welcher Versicherung Du Dein Schiff versichert hast. Du schreibst von einem Büro in Hamburg, und einer Dame, die auch Ahnung hat. Das ist genau das, was ich suche.
    Für einen Hinweis wäre ich dankbar. Auch ich wünsche Dir immer genug Wasser unter dem Kiel.

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