Keine Papierkarten mehr, nur noch elektronisch?

Was das teilweise für ein Glaubenskrieg ist! Würde ich in einem x-beliebigen Segler- oder Motorbootforum schreiben „ich schmeiß die Papierkarten raus und mach alles nur noch elektronisch“, würde eine nicht enden wollende Diskussion entstehen mit dem Grundtenor „völliger Schwachsinn“ und „schlechte Seemanschaft“.

Aber ist dem wirklich so?

Set dem Kauf der Xenia bis heute habe ich Papierkarten an Bord. Und nun denke ich darüber nach, die Papierkarten rauszuschmeissen.

Das Standard-Argument für Papierkarten als Ergänzung eines elektronischen Plotters ist ja, dass ein solches Gerät ausfallen kann und man dann ohne Navigationsmöglichkeit dasitzt. Dazu schildere ich mal die heutige Situation auf der Xenia:

  1. Mein Navigationsrechner ist in fast fünf Jahren nicht ein einziges Mal ausgefallen. Auch wenn ich jetzt ein neues Gerät habe, bezweifle ich, dass sich das ändert. Die Gründe dafür sind vielfältig und fußen vor allem darauf, dass ich auf dem Rechner nur definierte Software habe und ihn nur für kurze Zeiträume und für definierte Zwecke über einen eigenen UMTS Router ins Internet lasse.
  2. Selbst wenn der Navigationsrechner ein ernsthaftes softwaretechnisches Problem hätte, könnte ich ihn innerhalb von kurzer Zeit vollständig von einem aktuellen Backup wiederherstellen.
  3. Seit diesem Jahr habe ich noch zusätzlich ein Raymarine e7 MFD, der ja auch Kartenplotter ist. Dieses Gerät hat einen eigenen Kartensatz und läuft unabhängig vom Navigationsrechner (inklusive unabhängigem GPS).
  4. Wir haben ständig zwei iPhones an Bord, die auch unterwegs geladen werden können. Auf einem iPhone ist ebenfalls eine Navigationssoftware mit Karten installiert.
  5. In all der Zeit habe ich die Papierkarten nur ab- und zu mal zur Übung benutzt, für die tatsächliche Navigation nicht ein einziges mal.

Wir haben also drei voneinander unabhängige Geräte an Bord, mit denen navigiert werden kann. Sicherheit bei elektronischen Systemen erreicht man durch Redundanz, und hier habe ich also eine dreifache Sicherheit. Offensichtliche Problemsituationen sind damit also abgedeckt:

a) Navigationsrechner hat ein Softwareproblem: kann kurzfristig durch Wiederherstellung aus Backup behoben werden. Bis dahin Navigation auf dem e7 bequem möglich.

b) Navigationsrechner hat ein Hardwareproblem (z.B. Festplatte defekt): kann mittelfristig, vermutlich in der nächsten größeren Stadt, behoben werden. Bis dahin Navigation mit dem e7.

c) Überspannung o. ähnl. im Bordnetz, so dass Navigationsrechner und e7 zerstört werden: das ist schon ziemlich weit hergeholt, weil Marine-Geräte wie das Raymarine gegen sowas ziemlich gut geschützt sind. Trotzdem kann das passieren. Dann haben wir immer noch ein iPhone mit Karten, das davon nicht betroffen sein wird. Das ist nicht toll, aber für den Notfall reicht das dicke.

Selbst wenn das iPhone gerade zum laden am Bordnetz hing und von dem Problem mit betroffen ist, haben wir immer noch ein zweites, mit dem man zumindest einen Kompass und eine Positionsangabe hat.

d) Der Blitz schlägt ein und zerstört alle elektronischen Geräte an Bord: die Xenia ist ein Stahlschiff, daher ist es extrem unwahrscheinlich, des ein iPhone, was am Mann getragen wird, davon auch betroffen ist. Also siehe c).

e) Der Blitz schlägt ein und trotz Stahlhülle wird wirklich alles, was elektronisch ist, zerstört – inklusive iPhones: dann müssen wir sowieso Mayday funken und können hoffen, dass das Handfunkgerät vielleicht doch das Desaster überstanden hat. Wenn nicht, können wir sowieso nicht anders, als die rote Fahne zu hissen und auf Hilfe zu warten – egal, ob wir Papierkarten haben oder nicht.

Bei all diesen Überlegungen muss man halt auch berücksichtigen, dass wir auf der Ostsee unterwegs sind. Die Passagen, wo man gar kein Land sieht, sind schon sehr rar und das Gewässer ist ziemlich gut bekannt. Also selbst wenn die totale Katastrophe passiert, wissen wir grundsätzlich, wo wir sind und werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zeitnah einem anderen Schiff unsere Not signalisieren können.

Wenn ich nun über die Nordsee nach England fahren würde oder ähnliches, würde ich mir vermutlich doch noch eine Papierkarte dafür hinlegen. Aber sonst? Welches Argument kann dafür noch sprechen?

Zumal es ja auch noch folgende Punkte gibt:

  • Hält man denn die Papierkarten wirklich noch aktuell und trägt alle Berichtigungen ein, wenn man im Alltag sowieso nur elektronisch navigiert? In der Regel wohl nicht, und dann hat man also alte Karten, auf die man sich im Notfall verlassen will. Ist das klug?
  • Die Amerikanische NOAA hat letztens angekündigt, generell *keine* Papierkarten mehr herzustellen. Europäische Behörden sind davon vermutlich noch etwas entfernt, aber irgendwann werden auch sie sich der Frage stellen müssen, ob der große und teuere Aufwand, Papierkarten herzustellen, noch gerechtfertigt ist.
  • Wie mag sich das in der Berufsschiffahrt verhalten? Liegen da noch stets aktualisierte Papierkarten im Schapp? Oder sind das nicht eher Kosten, die ein Reeder mittlerweile auch einspart?

Endgültig habe ich mich noch nicht entschieden. – aber ich denke, die Zeiten ändern sich einfach. Und wenn man genug Redundanz an Bord hat, scheinen mir Papierkarten mittlerweile tatsächlich verzichtbar zu sein.

5 Kommentare zu “Keine Papierkarten mehr, nur noch elektronisch?

  1. 12seemeilen

    Digital oder Papier – das spaltet tatsächlich die Gemüter – nicht nur im Bootssport: viele Menschen schwören noch auf dicke Bücher während andere ihren E-Reader bequem in die Tasche stecken. Dennoch würde ich die Haptik und den Geruch von Buchseiten vermissen 😀 In der tat ein sehr emotionales Thema, bei dem jeder seine eigene Lösung finden muss. Wenn man digital gut „abgesichert“ ist – mit Rechner, Laptop, Smartphone und was sonst noch alles zu unseren täglichen Geräten auch auf See gehört – kann man ohne Sorge auf komplett digital umsteigen. Wer da noch sagt, dass alle Geräte ausfallen könnten, dem kann man sagen, dass Seekarten ausbleichen können 😛

        1. Julian Buß

          Danke für die Info. Mittlerweile habe ich noch ein iPad Mini mit eigenem GPS, NV Karten und der NV App auf dem Boot. Damit sollte nun wirklich genug Redundanz da sein 🙂

          Da es die NV Karten leider nicht ohne Papier gibt, werde ich das Papier auch dieses Jahr spazierenfahren… aber nötig ist es nicht mehr.

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